Wie die Handschrift alles ruiniert


Wie die Handschrift alles ruiniert

Es begann mit einer Zeitungsanzeige. Eine jener altmodischen, fast anrührenden Annoncen, die sich zwischen Wohnungsangeboten und obskuren Dienstleistungen verstecken:
„Möchte dich kennenlernen. Schreib deine Wünsche auf einen Zettel, mache ich ebenso. Dann stimmen wir ab.“

Ein Ansatz, der irgendwo zwischen Romantik und Vertragsverhandlung lag. Ich war neugierig. Also schrieb ich zurück, und wenig später erhielt ich seine Antwort.

Wir trafen uns in einem Café, das nach abgestandenem Kaffee roch und mit Deko aus einer Zeit aufwartete, als Plastikblumen noch als geschmackvolle Einrichtung galten. Er wirkte freundlich, ein wenig nervös – und dann kam der große Moment: der Austausch der Zettel.
I
ch nahm seinen und betrachtete ihn voller Erwartung. Nur, um festzustellen, dass seine Handschrift einer archäologischen Entzifferungsaufgabe glich. Ein wildes Gewirr aus Buchstaben, die so miteinander verschmolzen waren, dass sie eher an eine geheime Codierung aus einem Spionagefilm erinnerten.
„Äh…“, setzte ich an, während ich versuchte, zumindest ein einzelnes verständliches Wort herauszupicken. Nichts. Keine Chance.

Ehrlich wie ich bin, sagte ich schließlich: „Tut mir leid, aber… ich kann das leider nicht lesen.“
Er zog eine Augenbraue hoch. Dann folgte, trocken und ohne eine Spur von Humor, seine Antwort:
„Danke für die faule Ausrede.“

Ich blinzelte. War das sein Ernst? Ich hatte ja einiges erwartet – Überraschung, vielleicht eine charmante Bemerkung, oder dass er mir seinen Text einfach vorlas. Aber diese Unterstellung?
Ich überlegte kurz, ob ich ihm erklären sollte, dass es nicht meine Schuld war, dass sein Schriftbild aussah, als hätte eine Spinne nach einem Tintenbad über das Papier getanzt. Doch dann nickte ich nur höflich nahm einen Schluck von meinem mittlerweile kalten Kaffee faltete den unleserlichen Zettel sorgsam zusammen und schob ihn zurück über den Tisch. Dann erhob ich mich, zog meinen Mantel an und verließ das Café.

Manche Begegnungen bleiben einem in Erinnerung – nicht, weil sie besonders schön sind, sondern weil sie so absurd enden, dass man noch Jahre später darüber schmunzeln muss.

pour0225

Kommentare (2)

Jackpot

Liebe ulpo,
nach der Lektüre deiner Geschichte stelle ich erneut fest,dass es zwar damals zu "Briefezeiten" länger dauerte bis Frau und Mann zusammentrafen,es dennoch ernsthafter war,einander wirklich kennenlernen zu wollen.Heute,zu Internetzeiten, ist es wesentlich einfacher zueinanderzugelangen,allein die Ensthaftigkeit fehlt und "verkommt" zu einem "Spiel",so dass man sich manchmal fragt, entwickeln wir uns zurück und sind wir im Kindergarten? Jeder sollte sich seines Wertes bewusst sein, und dieser Mann  war mehr als lieblos.Kennenlernkultur sieht anders aus.

Herzlichst Jackpot😉


 

ulpo

@Jackpot  

...die Kennenlernkultur hat sich tatsächlich verändert. Für viele ist es auf Plattformen ein Zeitvertreib ohne feste Absicht eine Verabredung tatsächlich einzuhalten. Auch Treffen die zustande kommen haben ihre Tücken (s.o.).
Den(die)Richtige zu finden ist eben nicht einfach.
Danke fürs lesen und deine Anmerkungen,

herzliche Grüße 
ulpo