Literatur Schöne Lyrik

LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
als Antwort auf Sirona vom 04.12.2024, 09:25:03

Liebe Sirona,
dem kann ich nur zustimmen.
Im Miteinander einen Konsens finden ist wichtig, aber nicht zu dem Preis,
die eigene Persönlichkeit dabei aufgeben zu müssen.
Ich wünsche dir eine ruhige Adventszeit.
Herzliche Grüße
Lisa⭐️
 

LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK

Nächstenliebe
Am Schreibtisch sitzt die gelehrte Frau;
Sie schreibt von Liebe - vom Leben;
Sie will mit Eifer die kalte Welt
Zur Nächstenliebe erheben!
 
Sie sitzt recht behaglich im weichen Stuhl,
Im gut durchwärmten Gemache;
Doch draußen, da rüttelt der eifrige Wind
So zornig am Fenster und Dache.
 
Wohl dem, der ein schützendes Dach heut` hat
Und kann der Kälte entfliehen!
So seufzt die Frau - denn sie möchte so gern
Die Menschen zur Liebe erziehen.
 
Da klopft es bescheiden an ihrer Tür`-
Ein Weib, vom Kummer, vom Leide
So elend und bleich - eine Jammergestalt -
Steht draußen im leichten Kleide.
 
Das Weib hat sie aus der Arbeit gebracht
Am Werke der Nächstenliebe!
Wie blaß ist das Weib! Wie dünn ihr Kleid!
Die Augen so scheu - so trübe!
 
Von all dem sieht nichts die gelehrte Frau,
Sieht nicht die flehenden Blicke,
Sie kennt nicht der Not und des Hungers Pein:
Sie lebt im Reichtum, im Glücke.
 
Sie reicht dem hungernden, frierenden Weib
kaltherzig ein Geldstück zur Türe,
Setzt rasch sich nieder und schreibt zu End`
Die edle „Liebeslektüre”
 
O Bitterer Hohn! - O grausamer Spott! -
Sie schreibt von Liebe - vom Leben;
Und draußen um Liebe bat still ein Weib -
Und was hat sie ihr gegeben?
Karl Friedrich Mezger (1880-1911), Gymnasiallehrer und Klassischer Philologe
Nächstenliebe.png
 
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
Weihnachten
Rings erstorben die Natur -
Weiß bekleidet Wald und Flur -
Kalte, rauhe Winde wehn
Nieder von den Waldes Höhn.
Doch welch Jubel weit und breit!
„Allen Menschen Fried und Freud”
Kündet Weihnachtskerzenduft
Durch die kalte Winterluft.
 
Weihnachtszeit! O welche Macht
Birgt doch deine Zauberpracht!
Ewig neu und ewig alt
Deine Botschaft widerhallt.
O wie schafft der Weihnachtsbaum
Seligkeit im kleinsten Raum!
O wie klingt aus jedem Haus
Weihnachtsjubel froh heraus!
 
Schwinge dich, mein Geist, zurück
Zu der Kindheit süßem Glück,
Wo dich unterm Tannenbaum
Froh erfüllt der Weihnachtstraum
Und des Himmels goldner Schein
Strahle dir im Herzen rein!
Denke, Seele, still zurück!
Träum von sel`gem Weihnachtsglück!
Karl Friedrich Mezger (1880-1911), Gymnasiallehrer und Klassischer Philologe

Winterweihnacht.png
 

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Jole
Jole
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Jole
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Das Weihnachtsbäumlein

Es war einmal ein Tännelein mit braunen Kuchenherzlein und Glitzergold und Äpflein fein
und vielen bunten Kerzlein:

Das war am Weihnachtsfest so grün, als fing es eben an zu blühn.
Doch nach nicht gar zu langer Zeit, da stands im Garten unten,
und seine ganze Herrlichkeit war, ach, dahingeschwunden.

Die grünen Nadeln war'n verdorrt, die Herzlein und die Kerzlein fort.
Bis eines Tags der Gärtner kam, den fror zu Haus im Dunkeln,
und es in seinen Ofen nahm – hei! tats da sprühn und funkeln!
Und flammte jubelnd himmelwärts in hundert Flämmlein an Gottes Herz.


Christian Morgenstern (1871 - 1914)
 
Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
schlafendes-maedchen.jpg

Die Nacht vor dem heiligen Abend
Robert Reinick 1805-1852

Die Nacht vor dem heiligen Abend,
da liegen die Kinder im Traum.
Sie träumen von schönen Sachen
und von dem Weihnachtsbaum.

Und während sie schlafen und träumen
wird es am Himmel klar
und durch den Himmel fliegen
drei Englein wunderbar.

Sie tragen ein holdes Kindlein,
das ist der heilige Christ.
Es ist so fromm und freundlich
wie keins auf Erden ist.

Und während es über die Dächer
still durch den Himmel fliegt,
schaut es in jedes Bettlein,
wo nur ein Kindlein liegt.

Und freut sich über alle,
die fromm und freundlich sind,
denn solche liebt von Herzen
das himmlische Kind.

Heut schlafen noch die Kinder
und sehen es nur im Traum,
doch morgen tanzen und springen sie
um den Weihnachtsbaum.


Ich wünsche Euch allen ein schönes und gesegnetes Weihnachtsfest!
Liebe Grüße, Sirona



 
Jole
Jole
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Jole
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Nußknacker,
du machst ein grimmig Gesicht
– ich aber, ich fürchte vor dir mich nicht;
weiß, du meinst es gut mit mir.
Drum bring‘ ich meine Nüsse dir.

Ich weiß, du bist ein Meister im Knacken:
Du kannst mit deinen dicken Backen
gar hübsch die harten Nüsse packen
und weißt sie vortrefflich aufzuknacken.

Nußknacker, drum bitt‘ ich, bitt‘ ich dich,
hast bessere Zähn‘ als ich, Zähn‘ als ich,
O knacke nur, knacke nur immerzu!

Ich will dir zu Ehren die Kerne verzehren.
O knacke nur, knack knack knack! Immerzu!
Ei, welch ein braver Kerl bist du!

(Hoffmann von Fallersleben)

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Jole
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Jole
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Noch einmal ein Weihnachtsfest, immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm' ich so die Summe, alles Grade, alles Krumme,
Alles Falsche, alles Rechte, alles Gute, alles Schlechte –
Rechnet sich aus allem Braus, doch ein richtig Leben raus.
Und dies können ist das Beste, wohl bei diesem Weihnachtsfeste.

Theodor Fontane (1819 - 1898)

 
Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Jole vom 24.12.2024, 11:44:11
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Noch einmal ein Weihnachtsfest, immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm' ich so die Summe, alles Grade, alles Krumme,
Alles Falsche, alles Rechte, alles Gute, alles Schlechte –
Rechnet sich aus allem Braus, doch ein richtig Leben raus.
Und dies können ist das Beste, wohl bei diesem Weihnachtsfeste.

Theodor Fontane (1819 - 1898)

 
geschrieben von Jole
 
Fontane schrieb am 03. Jan. 1851 an Fr. Witte folgende Zeilen zum Weihnachtsfest, die mich insofern sehr bewegt haben als dass er trotz seines Erfolges so wenig Geld zur Verfügung hatte. 

"Die Festtage über laborierten wir beide, Emilie und ich, an der Grippe. Der Weihnachtsabend war gemütlich, aber doch – dürftig; keiner hatte Geld, um dem andern mehr als ein Paar Handschuh und dergleichen zu schenken. Ich musste daran denken, dass an demselben Abend meine Gedichte in wenigstens fünfzig bis hundert Prachtexemplaren auf verschiedenen Festtischen prangten; und doch, unter dem Weihnachtsbaum des Verfassers sah es derweil ärmlich genug aus. Zum Glück stört mich so was wenig. Ich weiß, dass das Leben sein bißchen Honig wo anders saugt – und nur die Aussicht auf direkte Hungerleider verdirbt mir in den letzten Tagen meine sonst gute Laune. 
Adieu, mein lieber Witte, und immer Kopf oben, wie ihr alter Freund. 
Th. Fontane

 
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
Weihnachtsgedicht
Für euch, o Kinder, blüht das Fest der Feste,
Was bringt's wohl diesmal? Welch ein Meer von Licht?
Könnt ihr's erwarten? Wißt, das Allerbeste,
Das habt ihr schon. Das ist's: ihr wißt's noch nicht.
 
Was wir zum Spiel, was wir zum Ernst euch geben,
Als reine Freude gebt ihr's uns zurück.
Das ist das Beste, daß es eurem Leben
Noch Wahrheit ist und ungetrübtes Glück.
 
Noch goldne Früchte trägt an seinen Zweigen
Für euch der Tannbaum, der im Wintergraun
Und einsam steht im Wald mit ernstem Schweigen,
Auf den die goldnen Sterne niederschaun.
 
Ein ganzes Jahr mit vielen, vielen Tagen
Erglänzt an dieses Tages Widerschein.
Mög' jeder Ernst euch goldne Früchte tragen
Und jedes Spiel euch lehren, froh zu sein.
Hermann Lingg (1820 - 1905), deutscher Dichter

Weihnachtsbaum-Kinder.png
 
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK

 Jeder wünscht zum neuen Jahr!
Aber würde alles wahr,
Dann wär' es um die Welt,
Glaubt es, jämmerlich bestellt!
Wolltet ihr die Welt verbessern,
(Bloße Wünsche tun es nie,
Spiele sind's der Phantasie!)
Wolltet ihr die Welt verbessern,
Fange jeder an bei sich,
Denn der Mittelpunkt der größern
Welt ist jeglichem sein Ich.
Dieses Ich wirft seine Strahlen,
Einer innern Sonne gleich,
Durch des Lebens weites Reich.
Wie es selber ist, so malen
Sich die Dinge klein und groß,
Prächtig oder farbenlos.
Heinrich Daniel Zschokke (1771 - 1848), Schweizer Erzähler
und Herausgeber der Wochenschrift »Der Schweizerbote«
Lichtgestalt1.png
 

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