Literatur Schöne Lyrik

Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Jole vom 07.02.2025, 10:50:35

Ja, das ist der liebe Morgenstern, geistreich und humorvoll. 
Auch ich könnte keine Möwe totschießen, obwohl ich nicht Emma heiße. 😁

LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
Der Weg zum Glück
Sie zogen alle den gleichen Weg,
Das Glück, das Glück zu erjagen.
Im Rennen dahin, über Stock und Steg,
Will jeder das Höchste wagen.

Nur einer hinter der Menge blieb,
Ein Mensch mit gesenktem Blicke;
Doch glüht auch in ihm der heiße Trieb,
Zu jagen nach seinem Glücke.

Man schaut wohl spöttelnd nach ihm zurück;
Doch kümmert ihn nicht das Lachen -
Er weiß ja besser den Weg zum Glück,
Drum läßt er sie ruhig machen.

Und als sie bis ans große Ziel
Mit Mühe sind vergedrungen,
Da hört man der Jammerklagen viel,
Weil keines das Glück hat errungen.

Man sah mit Schaudern den Weg zurück,
Auf dem man lechzend gezogen,
Und fand so öde den Weg zum Glück -
Es wurden alle betrogen.

Da sahen sie still den Armen nahn,
Den sie als Toren verachtet;
Und alle mit Neid und Staunen sahn
Ihn, der sie glücklich betrachtet.

Die Blumen, die längs des Wegs geblüht,
Hat er zum Kranz sich gewunden,
Dabei erlauscht er der Vöglein Lied
Und hat so - sein Glück gefunden.

Mit Blumen und Liedern schön geschmückt
War er ans Ziel gekommen;
Und gab auch den andern hochbeglückt,
Von dem, was er sich genommen.
Karl Friedrich Mezger (1880-1911), Gymnasiallehrer und Klassischer Philologe
Glückswanderer1.png
 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Was ist alles,
was in Jahrtausenden
die Menschen taten und dachten,
gegen einen Augenblick der Liebe?
Es ist aber auch das Gelungenste,
göttlich Schönste in der Natur! 
Dahin führen alle Stufen
auf der Schwelle des Lebens.
Daher kommen wir, dahin geh’n wir.
(Fr. Hölderlin) 


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Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Frühling 
Hermann Löns

Hoch oben von dem Eichenast
eine bunte Meise läutet
ein frohes Lied, ein helles Lied,
ich weiß auch, was es bedeutet.

Es schmilzt der Schnee, es kommt das Gras,
die Blumen werden blühen;
es wird die ganze weite Welt
in Frühlingsfarben glühen.

Die Meise läutet den Frühling ein,
ich hab´ es schon lange vernommen;
er ist zu mir bei Eis und Schnee
mit Singen und Klingen gekommen.

 
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK

Das Stelldichein
Das ist die richtige Stelle:
die Linde am Straßenrain
und drüben die alte Kapelle;
hier ist das Stelldichein.
 
Die Sterne am Himmel stehen,
die Glocke im Dorf schlägt acht.
Von Elsbeth nichts zu sehen –
Ich hab' mir's ja gleich gedacht.
 
Sie kann sich nicht trennen, ich wette,
vom Spiegel daheim an der Wand
und nestelt an Spange und Kette
und zupft an Tüchlein und Band.
 
Am Ende läßt sie mich harren
die liebe, lange Nacht.
Gewiß, sie hat mich zum Narren. –
Ich hab' mir's ja gleich gedacht.
 
Vielleicht – o du falsche Schlange!
Jetzt wird mir's auf einmal klar,
warum der Frieder, der lange,
heut morgen so lustig war.
 
Der Schrecken lähmt mir die Glieder,
ich bin betrogen, verlacht,
die Elsbeth hält's mit dem Frieder. –
Ich hab' mir's ja gleich gedacht.
 
Ich hebe zum Schwure die Hände
zum Sternenhimmel – doch halt,
was kommt durch das Wiesengelände
vom Dorf herüber gewallt?
 
Ich sehe zwei niedliche Füße,
sie nahen sich zaghaft und sacht,
sie kommt, die Treue, die Süße. –
Ich hab' mir's ja gleich gedacht.
Rudolf Baumbach (1840 - 1905), deutscher Dichter und Naturwissenschaftler
Bild Frau Wiese1.png
 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf LisaK vom 28.02.2025, 17:17:07

Man sollte nicht zu voreilig urteilen sondern sich in Geduld üben. 
Einfach herrlich dieses 'Gedicht. Danke fürs Einstellen, ich kannte es noch nicht. 👍


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LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
Das Leben, das ich selbst gewählt
 

Dichtung: Urheberschaft nicht eindeutig; Hermann Hesse oder Max Hayek
Rezitation: Mario Hassert
 
Das Gedicht „Das Leben, das ich selbst gewählt“ stammt aus der Feder von Beat Imhof und nicht
von Hermann Hesse. Es beruht dem Vernehmen nach auf dem Gedicht Der Weg von Max Hayek.
Anmerkung: Der Pädagoge und Schulpsychologe Beat Imhof schrieb das Gedicht „Das Leben, das ich selbst gewählt“ offenbar in den 1970iger Jahren und veröffentlichte es dann in seinem Buch
„Wie auf Erden so im Himmel“ (2012).
Es basiert, so schreibt Imhof, auf dem Gedicht „Der Weg“ (1920) von Max Hayek und gibt dieses in „leicht veränderter Form“ wieder.
https://www.gedichte7.de/das-leben-das-ich-selbst-gewaehlt.html
 
 „Der Weg
Eh' ich in dieses Leben trat,
Wies mir ein Engel jegliches Geschehen:
Er ließ mich alle meine Wunden sehen
Und alle meine Missetat,
Er ließ mich alle meine Sünden wissen
Und alles Leiden, das ich tragen müsste,
Die liebeleere, hassdurchtobte Wüste,
Die Stundenzahl voll Schmerz und Finsternissen —

Auch wies er mir die trunknen Seligkeiten
Die ich, gleich einem Gott, durchfühlen würde,
Das Äthersein, darin ich ohne Bürde
Im Lichte schwebte über Dunkelheiten,
Ließ er verheißend durch das Herz mir rinnen. —
Der Liebe ungemessne Wonnen
Erschauernd bebten alle meine Sinnen
Und mich umstrahlten tausend Himmelssonnen!

Und als er so, den Weg mir vorgewiesen
Mit seinen Prächten und den Düsterkeiten,
Mit seinen Höllen und den Paradiesen,
Sprach ernst der Engel: „Willst du ihn beschreiten?“
Und langsam sagte ich nach einer Stille:

„Ich will es — ja — der Weg, er ist mein Wille!
Und alle seine Lust und Qual
Sei mir Erfüllung freigewollter Wahl!“

So trat ich in das Leben ein,
Ein Mensch, umspielt von Schein und Sein,
Dem hellen Tag, der dunklen Nacht geweiht
Und bald versunken in die Ewigkeit!

Max Hayek (1882–1944), Wiener Schriftsteller
Der Weg.png
 
Jole
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Jole
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Märztag

Wolkenschatten fliehen über Felder,
Blau umdunstet stehen ferne Wälder.
Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen,
Kommen schreiend an in Wanderzügen.
Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen,
Überall ein erstes Frühlingslärmen.

Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder;
Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.
Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen;
Wollt es halten, mußt es schwimmen lassen.


Detlev von Liliencron (1844 - 1909),  
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Frühling
(Th. Fontane 1819 - 1898)

Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh;
er kam, er kam ja immer noch,
die Bäume nicken sich’s zu.

Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuss auf Schuss;
im Garten der alte Apfelbaum,
er sträubt sich, aber er muß.

Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei,
es bangt und sorgt: „Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai.“

O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh:
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag’s auch du.


 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf LisaK vom 17.03.2025, 09:27:19
Ich weiß auch nicht warum dieses Gedicht Hermann Hesse zugeschrieben worden ist. Danke für Deine Erklärung. 👍
Von diesem Dichter Beat Imhof höre ich zum ersten Mal, werde einmal recherchieren. 😋

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