Literatur Schöne Lyrik

Mai
Nun aber hebt zu singen an. der Mai mit seinen Winden.
Wohl dem, der suchen gehen kann, und bunte Blumen finden!
Die Schönheit steigt millionenfach, empor aus schwarzer Erden;
Manch eingekümmert Weh und Ach, mag nun vergessen werden.
Denn dazu ist der Mai gemacht, dass er uns lachen lehre.
Die Herzen hoch! Und fortgelacht, des Grames Miserere!
Otto Julius Bierbaum (1865 - 1910),



Nicht ihres Lächelns holder Zauber war’s,
die Reize nicht, die auf der Wange schweben,
selbst nicht der Glanz der göttlichen Gestalt.
Es war ihr tiefstes und geheimstes Leben,
was mich ergriff mit heiliger Gewalt;
wie Zaubers Kräfte unbegreiflich weben.
Die Seelen schienen ohne Worteslaut
sich, ohne Mittel, geistig zu berühren,
als sich mein Atem mischte mit dem ihren;
fremd war sie mir und innig doch vertraut,
und klar auf einmal fühlt’ ich’s in mir werden,
die ist es oder keine sonst auf Erden!
Fr. Schiller aus dem Trauerspiel "Die Braut von Messina"
Der Ruhm
Der Ruhm wie alle Schwindelware,
Hält selten über tausend Jahre.
Zumeist vergeht schon etwas eh'r
Die Haltbarkeit und die Kulör.
Ein Schmetterling voll Eleganz,
Genannt der Ritter Schwalbenschwanz,
Ein Exemplar von erster Güte,
Begrüßte jede Doldenblüte
Und holte hier und holte da
Sich Nektar und Ambrosia.
Mitunter macht er sich auch breit
In seiner ganzen Herrlichkeit
Und zeigt den Leuten seine Orden
Und ist mit Recht berühmt geworden.
Die jungen Mädchen fanden dies
Entzückend, goldig, reizend, süß.
Vergeblich schwenkten ihre Mützen
Die Knaben, um ihn zu besitzen.
Sogar der Spatz hat zugeschnappt
Und hätt' ihn um ein Haar gehabt.
Jetzt aber naht sich ein Student,
Der seine Winkelzüge kennt.
In einem Netz mit engen Maschen
Tät er den Flüchtigen erhaschen,
Und da derselbe ohne Tadel,
Spießt er ihn auf die heiße Nadel.
So kam er unter Glas und Rahmen
Mit Datum, Jahreszahl und Namen
Und bleibt berühmt und unvergessen,
Bis ihn zuletzt die Motten fressen.
Man möchte weinen, wenn man sieht,
Daß dies das Ende von dem Lied.
Wilhelm Busch (1832 - 1908), deutscher Zeichner, Maler und Schriftsteller

Frohe Botschaft
Nach langem, bangem Winterschweigen
Willkommen, heller Frühlingsklang!
Nun rührt der Saft sich in den Zweigen,
Und in der Seele der Gesang.
Es wandelt unter Blütenbäumen
Die Hoffnung übers grüne Feld;
Ein wundersames Zukunftsträumen
Fließt wie ein Segen durch die Welt.
So wirf denn ab, was mit Beschwerden,
O Seele, dich gefesselt hielt!
Du sollst noch wie der Vogel werden,
Der mit der Schwing' im Blauen spielt.
Der aus den kahlen Dornenhecken
Die roten Rosen blühend schafft,
Er kann und will auch dich erwecken
Aus tiefem Leid zu junger Kraft.
Und sind noch dunkel deine Pfade,
Und drückt dich schwer die eigne Schuld:
O glaube, größer ist die Gnade,
Und unergründlich ist die Huld.
Lass nur zu deines Herzens Toren
Der Pfingsten vollen Segen ein,
Getrost, und du wirst neugeboren
Aus Geist und Feuerflammen sein.
Emanuel Geibel (1815-1884)


Pfingstlied
Pfingsten ist heut, und die Sonne scheint, Und die Kirschen blühn,
und die Seele meint
,Sie könne durch allen Rausch und Duft Aufsteigen in die goldene Luft.
Jedes Herz in Freude steht, Von neuem Geist frisch angeweht,
Und hoffnungsvoll aus Thür und Thor, steckt´s einen grünen Zweig hervor.
Es ist im Fernen und im Nah´n So ein himmlisches Weltbejah´n
In all dem Lieder- und Glockenklang, Und die Kinder singen den Weg entlang.
Wissen die Kindlein auch zumeist Noch nicht viel vom heiligen Geist,
Die Hauptsach spüren sie fein und rein:
Heut müssen wir fröhlichen Herzens sein.
Gustav Falke (1853 - 1916),
Vor lauter Lauschen und Staunen
Vor lauter Lauschen und Staunen sei still,
du mein tieftiefes Leben;
dass du weisst, was der Wind dir will,
eh noch die Birken beben.
Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
lass deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gieb dich, gieb nach,
er wird dich lieben und wiegen.
Und dann meine Seele sei weit, sei weit,
dass dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Feierkleid
über die sinnenden Dinge.
Rainer Maria Rilke (1875-1926) einflussreicher österreichischer Dichter


Der Mensch –M. Claudius
Empfangen und genähret
vom Weibe wunderbar
kömmt er und sieht und höret
und nimmt des Trugs nicht wahr.
Gelüstet und begehret
und bringt sein Tränlein dar,
verachtet und verehret,
hat Freude und Gefahr.
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
hält nichts und alles wahr,
erbauet und zerstöret
und quält sich immerdar.
Schläft, wachet, wächst und zehret
trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
wenn's hoch kommt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
und er kömmt nimmer wieder.