1985 Muttermord oder Die
schwarze Spinne von Anna Höge Mama
hat gesagt, ich bin ihr großes Mädchen, und ich kann schon
schön auf meine Schwester aufpassen. Aber meine Schwester hat sich
losgerissen und ist vors Motorrad gelaufen, und das Motorrad ist umgefallen,
und ich bin davongelaufen. Und die Leute mit dem Motorrad haben meine Schwester
auf den Arm genommen und haben sie Mama zurückgebracht. Und es ist nichts
passiert. Mama
hat geweint und gesagt, daß man sich auf mich nicht verlassen kann. Und
da habe ich auch geweint und gefunden, daß sie recht hat, und ich habe
gesagt, daß es nie wieder vorkommen wird, und Mama soll aufhören zu
weinen. Jetzt will ich immer ihr großes Mädchen sein, auf das sie
sich verlassen kann. Aber Mama sagt, saß sie es nicht glaubt, und
daß man auf mich mehr aufpassen muß als auf meine Schwester. Und
dann hat Mama gesagt, daß ich nun bald in die Schule komme, aber
daß ich wohl eigentlich noch zu klein dazu bin. Aber der Schularzt hat
das nicht gemeint, und so bin ich dann in die Schule gekommen, und Mama hat
mich abgeholt und hat mir eine Schultüte in den Arm gelegt, und Papa hat
mich fotografiert, und ich habe mich sehr groß gefühlt. Und Papa hat
gesagt, daß ich nun immer schön lernen muß, und daß das,
was man im Kopf hat, einem keiner mehr nehmen kann. Und dann ist er wieder
arbeiten gegangen. Und
Mama hat dann mit mir Ergänzen geübt, das hab’ ich nicht so gut
gekonnt am Anfang, aber dann habe ich es doch sehr schnell gelernt. Ich habe
immer Bonbons von der Lehrerin bekommen, weil ich so schön mitgearbeitet
habe. Und ich habe den schlechteren Schülern bei den Aufgaben geholfen.
Die Lehrerin hat Mama gesagt, daß ich sehr begabt bin, und Mama hat es
Papa gesagt, und Papa hat zu mir gesagt, daß ich immer schön
fleißig sein muß, damit ich es zu etwas Besserem bringe in meinem
Leben. Und ich bin immer schön fleißig gewesen und habe gute Noten
bekommen. Und
dann hat Mama gesagt, jetzt, wo ich schon so groß und vernünftig
bin, da kann ich ihr auch schon im Haushalt helfen. Und da habe ich mich
richtig erwachsen gefühlt und habe Mama in den Schulferien jeden Tag
geholfen, und jeden Tag habe ich von Mama einen Groschen bekommen, und nach 10
Tagen habe ich mir dann ein Buch gekauft. Das kostete eine Mark. Mama
hat es mir weggenommen und hat gesagt, erst die Arbeit und dann das
Vergnügen. Und dann habe ich ihr wieder geholfen bis sie mir das Buch
zurückgegeben hat, und ich habe gelesen und gelesen, bis es ganz
ausgelesen war. Und Mama hat gesagt, daß ich mir noch die Augen verderben
werde bei dem vielen Lesen, und ich sollte lieber mal hinausgehen, wo es doch
so schönes Wetter ist. Aber zuerst soll ich ihr noch ein bißchen
helfen. Und
dann habe ich Mama geholfen und bin hinausgegangen, weil das Buch schon
ausgelesen war und ich Mamas gehorsames Mädchen sein wollte. Und dann hat
Mama mich gerufen und hat gesagt, daß meine Schwester krank ist und
daß ich bei ihr bleiben soll, bis sie den Arzt gerufen hat. Und
dann bin ich bei meiner Schwester geblieben, die immerzu geweint hat, und da
habe ich auch geweint, weil sie mir so leid getan hat. Und dann ist Mama mit
dem Arzt wiedergekommen und hat mich aus dem Zimmer geschickt. Und dann ist der
Arzt gegangen, und meine Schwester hat immer noch geweint. Die ganze Zeit, bis
ich ins Bett gegangen bin, hat sie geweint und die ganze Nacht hindurch. Und
ich konnte nicht schlafen, und immer bin ich an das Bett meiner Schwester
gegangen und habe sie getröstet. Und das ist sehr oft so gegangen, und
Mama hat zu mir gesagt, daß ich nun ganz besonders lieb zu ihr und zu
meiner Schwester sein muß - und meine Schwester ist ein Sorgenkind. Und
dann habe ich mich angestrengt, aber dann habe ich manchmal vergessen, was Mama
mir aufgetragen hat, und dann hat Mama gesagt, daß sie ganz traurig
über mich ist, und daß ich ihr nicht auch noch Kummer machen soll,
wo sie doch soviel mit meiner Schwester, dem Sorgenkind, durchmachen muß.
Und ich habe mich doppelt angestrengt, alles gut zu machen. Aber immer und
immer wieder habe ich etwas nicht richtig gemacht, und dann hat Mama mit mir
geschimpft und hat gesagt, daß man sich auf mich nicht verlassen kann,
und daß sie das sehr traurig macht, und ich war auch sehr traurig, und
dann ist Mama böse geworden, und ich habe keinen Groschen mehr bekommen,
weil ich wohl erst noch lernen muß, verläßlich zu werden. Aber
so sehr ich mich auch angestrengt habe, es nützte nichts, und Mama hat
gesagt, daß ich eben zu faul bin, und daß ich mit den Gedanken
immer woanders bin, und daß ich eben zuviel gelesen habe, und das ist
eben nicht gut für mich. Und
dann ist Mama in die Schule zur Lehrerin bestellt worden, und ich habe Angst
gehabt, weil ich dort vielleicht auch etwas falsch gemacht habe. Aber die
Lehrerin hat Mama nur gesagt, daß ich ein so begabtes Kind bin, und
daß ich unbedingt aufs Gymnasium gehen sollte. Und Mama hat es Papa
gesagt, und Papa hat zu mir gesagt, daß die Lehrerin gesagt hätte,
daß ich aufs Gymnasium gehen kann. Und
dann hat Papa gesagt, daß das Gymnasium etwas ganz Besonderes ist und
daß es Geld kostet, und daß er und Mama sich das Geld vom Munde
absparen müssen, und daß sie auch bereit sind, das zu tun, aber ich
muß mich ganz besonders anstrengen und immer daran denken, was es kostet,
und daß Mama und Papa nicht haben lernen dürfen. Und dann hat Papa
noch gesagt, daß die Lehrerin gesagt hätte, ich bin sehr begabt, und
daß er dann davon ausgeht, daß, wenn ich nicht mitkomme in der
Schule, es nur an meiner Faulheit liegt, und daß ich dann sofort
zurück zur Volksschule komme, und daß Mama und Papa nicht imstande
sind, eine Faulheit zu finanzieren, weil es so schon eine Menge Opfer bedeutet,
die Bücher, das Schulgeld und alles. Und dann ist Papa wieder arbeiten
gegangen. Und
dann habe ich eine Hausaufgabe zu machen vergessen, und die Lehrerin hat es
gemerkt und hat zu mir gesagt, was ich denn da mache, wo ich doch im
Frühjahr zum Gymnasium gehen wollte. Da
mußte ich weinen und hab’ gesagt, daß ich das eigentlich gar
nicht will, aber ich weiß gar nicht mehr, was ich will, ich bin ganz
durcheinander. Und da hat die Lehrerin mich getröstet und hat gesagt, ich
soll doch um Gottes willen gehen, wo ich doch so begabt bin, und es gibt viele
Kinder in der Klasse, deren Eltern hätten gern, daß sie gingen, aber
die wären eben nicht begabt genug. Und ich würde es später
einmal bereuen, wenn ich nicht ginge, und ich lerne doch gern, hat sie noch
gesagt, und das stimmte ja auch, und da hab’ ich gesagt, daß ich
doch aufs Gymnasium gehen will. Und
dann hab’ ich die Prüfung gemacht und habe sie bestanden, und dann
bin ich aufs Gymnasium gegangen. Dort sagten sie mir, daß ich was
Besonderes bin, und daß ich mich von den Schülern der Volksschule
fernhalten soll, und daß das Gymnasium verpflichtet, und daß sie
einwandfreies Benehmen erwarten. Und ich hab’ alles getan, was sie
wollten, obwohl ich nicht verstanden habe, warum ich mich von den
Volksschülern fernhalten sollte, und das ging auch gar nicht, weil sie
unsere Nachbarn und meine Spielkameraden waren. Aber
dann war ich sehr fleißig in der Schule, wie Mama und Papa es von mir
erwartet haben, aber mittags war ich immer sehr müde, und dann hat Mama
gesagt, daß ich ihr erst mal helfen sollte, und das habe ich dann auch
getan. Aber ich hab’ immer irgend etwas falsch gemacht, und dann hat Mama
mit mir geschimpft und hat gesagt, daß ich mir wohl jetzt zu fein vorkäme.
Und daß ich wohl meinte, die Dreckarbeit könnten die Doofen machen,
und damit meinte sie sich und meine Schwester das Sorgenkind. Aber das stimmte
gar nicht. Ich
war nur immer so müde, und ich wollte ja gerne alles machen, wenn ich es
nur richtig gekonnt hätte. Und dann habe ich mich wieder angestrengt,
damit ich auch ja nichts vergesse. Und dann hat Mama mich gelobt und hat
gesagt, so ist es besser, und wenn ich nächstes Mal nicht vergessen
würde, auch auf dem Schrank staubzuwischen, dann wäre sie ganz
zufrieden. und so habe ich nächstes Mal auf dem Schrank staubgewischt,
aber dann hab’ ich wieder - wirklich ohne Absicht - etwas anderes
vergessen, und dann ist Mama sehr böse geworden. Und anschließend
hat sie geweint und hat gesagt, was nützt die ganze Lernerei, wenn ein
Mädchen nicht mal imstande ist, seiner Mutter ordentlich im Haushalt zu
helfen. Und weil ich ja so schlau bin, hat Mama gesagt, könnte ich ja
meiner Schwester dem Sorgenkind bei den Schularbeiten helfen. Und dann bin ich
nach oben gegangen, um meiner Schwester zu helfen. Aber
die hat sofort angefangen zu schreien, ohne daß ich ihr irgendwas
erklären konnte. Und da ist Mama hochgekommen, und sie hat mir eine
Ohrfeige gehauen und hat gesagt, nicht mal dazu bin ich imstande, und wenn sie
noch mal was hört, dann setzt’s was, und dann ist sie
hinausgelaufen, und meine Schwester das Sorgenkind hat sofort wieder angefangen
zu schreien. Und
dann ist Mama sehr wütend geworden und hat mir Hausarrest gegeben, und das
fand ich ungerecht. Und dann hab’ ich geweint, aber ich hab’
gedacht, daß ich auf meine Schwester nicht böse sein darf, weil sie
nichts dafür kann und das Sorgenkind ist, und auf meine Mama nicht, weil
sie es so schwer hat, und ich bin ins Kinderzimmer geschlichen und hab’
mich hinter dem Schrank versteckt. Und dann hat Mama mich gerufen, und da
mußte ich hinuntergehen und den Abwasch fertig machen, und ich hab’
mich sehr angestrengt und immer gedacht, ich vergeß’ wieder was. Und
Mama hat sich hingelegt, weil sie mittags immer sehr müde ist. Und dann
bin ich fertig geworden, aber da hab’ ich vergessen, welche Hausaufgaben
wir aufhatten, und da hab’ ich in meinem Lesebuch gelesen, da waren viele
schöne Geschichten drin, und dann bin ich am andern Tag ohne Hausaufgaben
in die Schule gegangen und habe Angst gehabt, daß die Lehrer was merken.
Aber dann haben wir eine Arbeit in Latein geschrieben, und die hab’ ich
gut hingekriegt, so daß die Lehrer nichts gemerkt haben. Und
als ich Mama gesagt hab’, daß ich eine Eins in Latein geschrieben hab’,
da hat sie mir gesagt, daß das gut ist, aber das sie das auch von mir
erwartet hätte, aber am Nachmittag soll ich Briketts aufstapeln. und davor
fürchte ich mich, weil ich das an den Händen nicht vertragen kann.
Aber ich hab’ nichts gesagt, weil Mama dann bestimmt wieder gesagt
hätte, ich fühle mich zu fein. Aber ich kann doch wirklich nichts
für meine Hände. Und Mama sagt immer, ich soll mich
zusammenreißen, für andere ist das auch nicht angenehm. Und da
hab’ ich mich zusammengerissen und habe zwei Zentner Briketts im Schuppen
aufgestapelt, und dann war es schon Abend, und Mama hat gefragt, ob ich meine
Schulaufgaben schon gemacht habe. Und ich hab’ nein gesagt, ich
hab’ doch die Briketts aufgestapelt, und da hat Mama gesagt, ob das heißen
sollte, sie hielte mich davon ab, meine Schularbeiten zu machen. Und dann hat
sie angefangen zu weinen und hat gesagt, daß sie schließlich nicht
alles machen kann, und daß sie soviel Sorgen mit meiner Schwester dem
Sorgenkind hat, und alle lassen sie allein, und ich ganz besonders. Und ich
hab’ gesagt, daß ich das gar nicht gemeint hätte, aber ich
müßte doch noch einen Aufsatz schreiben, und dann bin ich nach oben
gegangen, und ich habe zu schreiben angefangen, aber ich habe nichts zustande
gekriegt, und dann hab’ ich Latein-Verben gelernt, und ich hab’
gemeint, ich kann sie, und am nächsten Morgen bin ich aufgerufen worden,
und ich hab’ kein einziges Wort mehr gewußt, und da hat der Lehrer
gesagt, daß ich nicht gelernt hab’ und gerade ich, die doch aus
einfachem Hause stamme, sollte doch lernen, und ob ich mich nicht schäme.
Und da hab’ ich mich geschämt. Und dann hat der Lehrer mir einen
Brief mitgegeben, und darin hat gestanden, daß ich faul bin, und
daß ich wohl doch nicht die nötige Reife werde aufbringen
können, wenn ich so weiter mache. Und
Mama hat es Papa gesagt, und Papa hat zu mir gesagt, daß er mich aus der
Schule nehmen will, wenn noch einmal ein solcher Brief kommt, und daß es
eine Schande ist, und daß ich dann in der Fabrik arbeiten gehen kann,
damit ich endlich ans Arbeiten komme. Und dann ist er wieder arbeiten gegangen. Und
Mama hat geweint und hat nicht mehr mit mir gesprochen. Und ich bin ins
Kinderzimmer geschlichen hinter den Schrank und habe mich geschämt und
habe überlegt, wie ich die lateinischen Verben besser behalten kann, und
mir ist nichts eingefallen, und dann bin ich ins Bett gegangen. Und dann ist
Mama gekommen und hat gesagt, das könnte mir so passen, und dann hat sie
in meinen Schrank hineingesehen und hat gesagt, daß ich schlampig bin und
hat alles herausgerissen und auf den Fußboden geschmissen und hat gesagt,
zuerst soll ich runterkommen und Abendbrot machen und dann soll ich den Schrank
richtig einräumen. Ich bin dann hinuntergegangen und habe Abendbrot
gemacht und anschließend habe ich den Schrank wieder eingeräumt.
Aber ich wußte nicht, ob ich ihn richtig aufgeräumt habe, und ich
bin zu Mama gegangen und habe gefragt. Und da hat Mama gesagt, daß es so
in Ordnung ist, aber ich solle mir Ordnung angewöhnen. Sowas wie in der
Schule und hier zu Hause geht nicht an. Und ihre Mutter hat ihr auch Ordnung
beigebracht. Und dann sind wir beide hinuntergegangen, und Mama hat immer
weiter geredet, aber ich konnte nicht mehr zuhören, weil ich so müde
war, und dann hat Mama mir eine Ohrfeige gehauen, weil ich schon wieder mit den
Gedanken woanders war. Und dann hat Mama geweint und hat gesagt, sie ist doch
so eine verständnisvolle Mama und warum ich das nicht ein bißchen
honorieren kann. Und ihre Mama wäre viel strenger mit ihr gewesen. Da
konnte ich sie nicht mehr ansehen und habe den Kopf gesenkt, weil ich weinen
mußte und Mama das nicht sehen sollte, und da hat Mama aufgehört zu
weinen und hat gesagt, daß ich ein faules verstocktes Mädchen bin,
und daß sie gar nicht weiß, womit sie so ein Kind verdient hat, und
ob ich mir gar nichts daraus mache, daß ich ihr so viel Kummer bereite,
wo sie doch schon so viele Sorgen mit meiner Schwester dem Sorgenkind hat.
Darauf habe ich nichts mehr zu sagen gewußt. Und
dann hat Mama gesagt, daß ich nach oben gehen soll und ihr nicht mehr
unter die Augen treten, und daß ich die nächsten zwei Wochen
Hausarrest habe, weil ich so verstockt bin. Und dann bin ich nach oben gegangen
und habe mich ins Bett gelegt, und die ganze Nacht hab’ ich Angst gehabt,
weil ich keine Schularbeiten gemacht hab’ und am anderen Morgen bin ich
zu Mama gegangen und hab’ ihr gesagt, daß ich mich nicht wohl
fühle, und daß ich nicht in die Schule gehen kann. Und Mama hat
gesagt, daß ich mich nicht so anstellen soll, und dann bin ich doch in die
Schule gegangen, und es ist nichts passiert. Und
auf dem Schulweg habe ich dann einen Jungen aus der Abiturklasse kennengelernt.
Der ist sehr nett zu mir gewesen, und der ist zu uns nach Hause gekommen mit
Blumen in der Hand und hat gefragt, ob er mich am Abend abholen dürfte.
Und da hat Mama ja gesagt, und der Junge hat mich abgeholt, und wir sind
zusammen ausgegangen, und alles war sehr schön. Er ist dann mein fester
Freund geworden, und ich dachte, Mama mochte ihn auch leiden. Aber dann hat
Mama gesagt, daß das sowieso nichts werden kann weil der Freund von mir
einen Arzt zum Vater hätte, und sowas wie mich würde eine Arztfamilie
sowieso nicht akzeptieren. Und warum ich mir nicht einen netten Jungen aus der
Nachbarschaft nehmen könnte. Und da bin ich sehr traurig geworden, und
dann hat mein Freund zu mir gesagt, daß er mich liebt, aber ich
hab’ ihm nicht glauben können, weil ich doch gar nichts bin und er
der Sohn eines Arztes ist. Und dann hat er mir gesagt, daß er jetzt bald
zum Studieren in eine andere Stadt gehen wollte. Und da habe ich gedacht,
daß er sich da eine neue Freundin suchen würde. Und Mama hat das
auch gesagt, daß er sich eine besser für ihn passende Freundin
suchen würde. Und
da habe ich ihm das gesagt, und ich habe ihn gefragt, ob er mich nicht heiraten
könnte. Und da hat mein Freund gesagt, daß er mich liebt, aber
daß es zum Heiraten wohl etwas zu früh wäre, und wir
wüßten ja nicht mal, wovon wir leben sollten, weil er ja noch von
seinem Vater abhängig ist. Und Mama hat gesagt, daß er mich ja nicht
gleich hätte heiraten brauchen, aber er hätte sich mit mir verloben
können, wenn er mich wirklich wollte, und nach einem Dreivierteljahr
müßte ein Mann das eigentlich wissen. Und Papa hat das auch gesagt
und ist arbeiten gegangen. Und
dann ist mein Freund in eine andere Stadt zum Studieren gegangen, und ich bin
sehr traurig gewesen, und ich hab’ nicht mehr richtig lernen können.
Und da haben die Lehrer Mama und Papa in die Schule bestellt und haben ihnen
gesagt, daß ich sitzenbleiben würde, wenn ich nicht nach der zehnten
Klasse abginge. Und dann hätte ich die mittlere Reife, und das wäre
ja auch was, und mehr braucht ein Mädchen ohnehin nicht, und für das
Gymnasium wäre ich sowieso nicht so geeignet gewesen. Und dann haben Mama
und Papa es mir gesagt. Und da war ich sehr traurig und habe mich
geschämt. Papa
ist dann arbeiten gegangen und Mama hat gesagt, daß ich ihr nun ja
richtig im Hause helfen könnte, weil das mit der höheren Schulbildung
aus ist. Und
dann hab’ ich mir eine Lehrstelle gesucht. Und da haben die Lehrlinge im
zweiten Jahr gesagt, daß ich doof bin, und sie haben mich überall
herumgeschickt, und in meinem Kopf war alles leer. Und wenn ich dann nach Hause
gekommen bin, dann hat Mama gesagt, daß ich ihr jetzt helfen sollte, wo
sie schon den ganzen Tag auf den Beinen ist und ich den ganzen Tag auf meinem
dicken Hintern gesessen hätte. Und
da habe ich das riesige Spinnennetz gesehen zum ersten Mal, und ich bin in den
Schuppen gegangen und habe eine Axt geholt. Und dann habe ich mit der Axt das
Spinnennetz zerreißen wollen und die dicke schwarze Spinne totmachen. Und
dann bin ich ohnmächtig geworden. Und als ich wieder aufgewacht war, da
hat Mama mich komisch angeguckt und hat gefragt, was ich mit der Axt gewollt
hätte. Und da hab’ ich ihr gesagt, daß da das große
Spinnennetz gewesen ist, das ich zerreißen wollte, und daß das
über die ganze Küche verteilt gewesen war, und daß da ein dicke
große schwarze Spinne dringesessen hätte, die gefährlich
ausgesehen hätte, und so groß, wie ich noch nie eine gesehen
hätte. Und da hat Mama Fieber gemessen und hat mich ins Bett geschickt,
damit ich schwitzen sollte. Aber ich hab’ mich gar nicht krank
gefühlt. Ich hatte nur Angst vor der großen schwarzen Spinne, und
die Spinnweben waren auch schon im Kinderzimmer verteilt. und dann bin ich ganz
vorsichtig aufgestanden, um den Spinnennetzen auszuweichen. Und dann bin ich
fortgelaufen und habe mich in einem Schrebergarten verkrochen. Dann habe ich
die ganze Nacht überlegt, was ich tun sollte, und dann bin ich zu Mama
gegangen und hab’ ihr gesagt, daß ich sie lieb habe und daß
sie mich gehen lassen soll, damit sie nicht mehr immer so traurig über
mich zu sein braucht, wo sie schon soviel Kummer mit meiner Schwester dem
Sorgenkind hat. Von der Spinne hab’ ich lieber nichts mehr gesagt. Und
Mama hat gesagt, daß das wohl das beste ist. Und
dann bin ich in eine andere Stadt gegangen und habe dort gearbeitet, und dann
habe ich gemerkt, daß ich ganz leer im Kopf war und ich hab’
gedacht, daß ich noch was lernen sollte, weil ich die Leere im Kopf nicht
mehr aushalten konnte. Und dann hab’ ich gelernt, abends nach der Arbeit,
und ich hab’ mit Mama telefoniert und hab’ ihr das erzählt, um
ihr eine Freude zu machen. Und da hat Mama gesagt, wozu? Und da bin ich traurig
geworden und hab’ gemeint, daß ich Mama ganz egal bin, und dann
hab’ ich immer weiter gelernt und hab’ viele Leute kennengelernt.
Mit denen hab’ ich mich gut verstanden, und dann bin ich mit einigen
zusammengezogen in eine Wohngemeinschaft. Und
dann ist Mama gekommen mit meiner Schwester dem Sorgenkind und hat gemeint, bei
uns sieht es aber schlampig aus, und wenn sie etwas gelernt hätte, wie
ich, dann hätte sie es sich gemütlich gemacht und wäre nicht mit
so komischen Typen zusammengezogen. Und da hab’ ich gemerkt, daß
ich nicht sein kann wie Mama mich haben möchte. und ich hab’ nicht
mehr gewußt, was ich mit ihr reden sollte. Und ich hab’ gemerkt,
daß Mama böse mit mir war, denn als sie abfuhr, hat sie zu mir
gesagt, wenn sie gewußt hätte, was aus mir werden würde, dann
hätte sie lieber gesehen, ich hätte mit Siebzehn ein Kind gekriegt,
einen einfachen vernünftigen Mann geheiratet, der mich auch gerne ab und
zu einmal hätte verhauen können, das hätte noch keiner geschadet. Und
das hat mir sehr weh getan, aber ich durfte ihr nicht böse sein, weil sie
mich nicht versteht, weil sie soviel Kummer hat mit meiner Schwester, dem
Sorgenkind, und weil Papa immer arbeiten muß und nie Zeit hat. Ich
hab’ aber trotzdem geweint und bin böse gewesen auf sie, und dann
hab’ ich mich geschämt. Und dann hab’ ich einen netten Mann
kennengelernt, der aber leider wieder studiert war, so daß ich Mama
lieber nichts davon gesagt hab’. Aber er hatte keinen Arzt zum Vater
sondern eine liebe alte Dame als Mutter, und die war ein einfacher Mensch und
der Ausgleich für den studierten Mann. Aber ich hab’ trotzdem Mama
erst davon erzählt, als wir schon verheiratet waren, und dann hab’
ich die Mutter von meinem Mann gleich mit zu Mama genommen. Da konnte sie
nichts über den studierten Mann sagen. Und dann sind wir wieder nach Hause
zu uns gefahren, und ich hab’ ein kleines Mädchen bekommen. Und
dann bin ich mit meinem kleinen Mädchen zu Mama gefahren, weil mein Papa
gestorben war, und weil ich gemeint hab’, daß Mama nun endlich mit
mir zufrieden sein würde. Und Mama hat sich das Bein gebrochen, und ich
bin mit meinem kleinen Mädchen bei Mama geblieben, um ihr bei ihren
Papieren zu helfen. Und ich hab’ alles in Ordnung gebracht zwischen den
Zeiten, wenn ich mein Baby gestillt hab’. Und dann hat Mama gesagt,
daß ich mit meinem Baby viel zu viel hermache, und daß man nicht
alle-Nase-lang, wenn so’n Kind den ersten Ton von sich gibt, hinrennt,
sonst bekommt man einen kleinen Tyrannen. Aber
ich hab’ trotzdem so weitergemacht wie bisher mit meinem Baby. Und Mama
hat immer weiter gehetzt, und dann hab’ ich mein Baby genommen und bin
ganz schnell nach Hause gefahren zu meinem netten Mann, dem studierten. Und
dann hat Mama mich angerufen und hat gesagt, daß ich Windeln im Zimmer
liegen gelassen hätte, und daß ich eben eine Schlampe bleibe, und
wie ich überhaupt jemals zurechtkommen wollte. Und
da bin ich sehr krank geworden, und ich wollte meine Mama nie mehr sehen und
sprechen müssen, aber immerzu hab’ ich an sie gedacht und konnte die
Gedanken nicht loswerden. Und ich hab’ gedacht, daß ich ihr nicht
böse sein darf, weil sie meine Mama ist und weil sie es so schwer mit
meiner Schwester dem Sorgenkind
und weil sie jetzt Papa nicht mehr hat. - Aber ich war böse, sogar
sehr böse. - Und ich habe mich geschämt, weil ich so böse war. Und
dann hat Mama immer wieder angerufen, daß sie ihr Enkelkind auch mal
sehen wollte, und immer bin ich wieder mit meinem Kind zu ihr gefahren, und
jedesmal haben wir uns wieder gezankt. Und mein Baby wurde größer
und größer und war ein sehr anstrengendes Kind und ein sehr begabtes
Kind und ein sehr hübsches Kind. Und manchmal versuchte mein Kind, mich
aufzufressen, mit Haut und Haaren. Und dann war ich manchmal böse mit
meinem Kind und habe es angeschrien. Und das hat Mama gehört und hat
gesagt, wenn sie sähe, wie ich mit meinem Kind umginge, dann hätte
ich bei ihr den Himmel auf Erden gehabt. Und
da hab’ ich die Spinne wieder gesehen, und sie war noch größer
geworden, und sie blähte sich immer mehr auf und spann ihr Netz, und ich
war wie gelähmt von dem bösen Blick der Spinne, und das Netz wurde
immer größer, und da lief ich davon in den Keller, um die Axt zu
holen. Und dann bin ich zurückgekommen und hab’ auf die Spinne
eingeschlagen, und ich hab’ die Augen zugemacht und hab’ es krachen
hören, und von da an weiß ich nichts mehr. - Nur daß ich jetzt
hier in diesem hübschen weißen Zimmer sitze, und daß alle
Leute nett zu mir sind. Und
ich muß keine Angst mehr haben, etwas falsch zu machen. Sie sagen,
daß ich mir um mein Kind keine Sorgen zu machen brauche, weil Mama es
schon gut erziehen wird, und daß ich eine tolle Mama habe, und daß
ich dankbar sein kann, eine so tolle Mama zu haben, die mir nichts
nachträgt, weil ich ja krank bin, und die mein Kind nimmt, obwohl sie doch
schon so viel Kummer mit meiner Schwester dem Sorgenkind hat. Und
darüber bin ich auch froh und dankbar, und das habe ich dem Doktor auch
gesagt. Der hat mir gesagt, daß ich alles aufschreiben soll über
Mama und mich und meine Schwester, und der nette Doktor hat gesagt, daß
er dafür sorgen wird, daß mich niemand mehr ängstigen wird, und
daß ich hier so sein darf wie ich will, und daß Mama nicht hier
herkommen wird. Nur, wenn ich es will. Aber ich will das nicht. Nie mehr will
ich das, und ich bin nur müde und möchte schlafen, nur schlafen. Copyright Anna
Höge/co. Karin Häsing Sachsenstraße
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