Ein
Tropfen Öl. Fachleute
heißen Fachleute, weil sie etwas vom Fach verstehen. Man darf als Laie
keinem Fachmann widersprechen oder etwas besser wissen, denn sonst wäre
man selber auch ein bißchen Fachmann und das läßt sich der
echte Fachmann nicht gefallen. Doch nun
soll die Geschichte der Reihe nach erzählt werden. Frau
Heinrichs war Mieterin eines Reihenhauses. In diesem Reihenhaus klemmte im
zweiten Stock das Mansardenfenster. Ich, meines Zeichens Hausmeister, sah mir
dieses klemmende Fenster an und begutachtete es von allen Seiten. Alles
rütteln und schütteln, heben und zerren half nichts, es klemmte, ich
bekam es nicht zu. Die
ironische Frage: „Na, Herr Hausmeister, kriegen sie das Fenster auch
nicht zu?“ traf mich auf dem Treppenabsatz zur ersten Etage. Die Frage
war in dieser Form unnötig, denn schließlich bin ich in klemmenden
Fenstern, neben jedem Tischler, perfekt in der Sachkunde und kann schon von
weitem erkennen, welch straffe, fachmännische Hand ein Fenster braucht,
die des Hausmeisters oder die eines Tischlers. Nun, hier mußte ein
Tischler her. „Ähm,“
überlegte ich laut meine gezielte Antwort, die den Spott der Mieterin
fürchterlich übertreffen und mich als Helden darstellen sollte,
„ähm, wissen sie, Frau Heinrichs, an diesem Fenster klemmt die
Querachse und die hat Bänder, die das Fenster schließen, aus den
Kloben gerissen, so daß die Feststeller nicht mehr genügend
Bewegungsfreiheit haben und den Schließer entgegensetzt seiner vorgesehenen Richtung, quer zur eigentlichen
Führung, drücken. Das bedeutet, daß das Kantengetriebe in
seiner formalen Funktion eingeschränkt ist und nicht mehr treibt, wo es
treiben sollte.“ Nach
dieser gelungenen, für jeden Fachmann unverständlichen Rede, kamen
mir fast die Tränen, so glaubhaft hatte ich gelogen. Der Leser mag mir
verzeihen, aber ich wußte doch selber nicht, warum das vermaledeite
Fenster nicht schloß. Aber sollte ich es zugeben? Dazu noch einer nur mit
laienhaftem Fachwisssen ausgestatteten Frau? Nee, kam ja gar nicht in Frage. „Hm,
hm.“ Sagte Frau Heinrichs und warf die Haustür recht herbe hinter
mir ins Schloß. Wie es nun
der Zufall will, kam der Tischlermeister Müller um die Ecke.
„Tischlermeister Müller,“ begrüßte ich ihn,
„ihr kommt mir wie gerufen, ich habe ein Fenster, es klemmt und es soll
entklemmt werden.“ Bedächtig
nickte er mit dem Kopf und teilte mir mit, daß vor ihm jedes Fenster in
die Knie geht. Gemeinsam traten wir Frau Heinrichs gegenüber und sie
führte uns in den zweiten Stock. Sie blieb auch neben uns, als wir uns
mühten, das Fenster durch ziehen, zerren, stoßen und beißen,
geschlossen zu kriegen. Sie legte Wäsche zusammen, genau hinter uns und
wagte es, zwei erfahrenen Fensterschließern zu sagen, daß da
vielleicht ein paar Tropfen Öl auf dem Gestänge, daß Fenster
leichter schließbar machen. Der Blick,
der Frau Heinrichs aus vier Fachleuten Augen traf, war fürchterlich und
veranlaßte Frau Heinrichs, sofort ihre Tätigkeit hinter uns
einzustellen und sich anderen Beschäftigungen, ein Stockwerk tiefer,
zuzuwenden. „War ja nur gutgemeint.“ murmelte sie leise und
verschwand die Treppe nach unten. „Da muß man ja nicht gleich so
böse kucken.“ Und dann setzte sie nach: „Was kümmerst du
dich auch darum, das sind doch Fachleute, die kennen doch was davon.“ Nachdem
wir unsere Augen von Frau Heinrichs ab und uns zugewendet hatten, nickten wir
bestätigend, daß es wohl möglich wäre, wenn man hier ein
paar und dort ein paar Tropfen Öl dranmachen würde, das Fenster leichter schließbar
wird. Ich
mußte die Kanne holen und ging dazu im zweiten Stock an Frau Heinrichs
vorbei. Um Sachlichkeit bemüht, fragte sie mich vorsichtig: „Na,
holen sie jetzt eine Ölkanne?“ Diese
Frage wurde natürlich von mir in aller Ernsthaftigkeit, der ich fähig
war, verneint. Ich erklärte ihr, daß wir einen Schraubendreher aus
dem Fenster haben fallen lassen und den wollte ich holen. Sie glaubte es und
sie glaubte es erst recht, als ihr kontrollierender Blick auf meine Hände
fiel, in denen ich nach meiner Rückkehr einen Schraubendreher hielt. Die
Ölkanne in der Innentasche meiner Jacke, die konnte sie allerdings nicht
sehen. Das war auch gut so. Wir
ölten das Fenster nach allen Regeln der Kunst und nach dem dritten Tropfen
Öl, an die richtige Stelle placiert, schloß das Fenster perfekt.
Frau Heinrichs erklärten wir, das die Kloben des Fensters nachgezogen sind
und das Fenster nun in seiner Funktion unübertroffen gut funktioniert. Seit
dieser Zeit führe ich zwanghafter Weise immer eine Ölkanne mit mir
herum, um jederzeit etwas zu ölen und wenn es nur im entferntesten so
aussieht, als wenn dort Öl
hin müßte. Edgar
Schulz |