Edgar Schulz edmoschulz@t-online.de Berliner. Der Zweite. Berliner essen ist unwiderruflich mit meinem Auto verbunden. Muß ja wohl, denn warum esse ich Berliner nur im Auto, wo ich doch aus Erfahrung weiß, wie sich ein Berliner 1. In meiner Hand und 2. In meinem Auto verhält? Wie der geneigte Leser weiß, habe ich negative Erfahrungen mit dem Berliner essen. Gestern nun startete ich einen zweiten Versuch, einen Berliner der Sonderklasse, mit Erdbeermarmelade gefüllt, unfallfrei zu essen. Ich
hätte gewarnt sein müssen und hätte mich an meine letzten
Gedanken, vom ersten Berliner essen, denken sollen, die da waren: Ich werde
Berliner nur noch ausgezogen in der Badewanne essen, damit ich mich jederzeit
von herunter getropfter Marmelade reinigen kann. Aber,
nun mal ehrlich lieber Leser, wer denkt schon beim Anblick eines so harmonisch
und lecker daliegenden Berliner daran, daß er zum erklärten Feind
werden kann? Ich habe geglaubt, aus meinen Erfahrungen gelernt zu haben und
wähnte mich durchaus in der Lage, diesen einen Berliner zu essen, ohne
hinter aussehen zu müssen, als hätte ich an einer Berlinerschlacht
teilgenommen. Ich beginne einfach mal zu berichten... Kaufen
wollte ich ein trockenes Brötchen, weil dieses nur krümeln und mich
nicht einschmieren kann. Aber dann wies die Verkäuferin auf den Berliner
hin und sagte: „Das ist der Letzte.“ Ihre Worte waren Mitleid
erheischend, mitfühlend für den einsamen Berliner, aber ich
wußte, daß Berliner dick machen und überhaupt, wie meine Frau
mir immer wieder beizubringen versucht, für die Figur schädlich sind. Bei
diesem Gedanken trat das kleine Teufelchen in mir in Aktion und meinte:
„Schadet dir ein Berliner wirklich? Ist rauchen nicht viel
schädlicher? Und wenn du bei Rot über die Straße gehst, bist du
da nicht gefährdeter? Kauf ihn, iß ihn. Deine Frau ist nicht da und
keiner wird je erfahren, daß du einen Berliner gegessen hast.“ Ich
klage an, daß der gute Kern in mir nicht eingegriffen hat. Wo war er
denn, als ich mit dem Finger auf den einsamen Berliner zeigte und mit vor Gier
zitternder Stimme forderte: „Den nehme ich!“ Hätte er mich
nicht warnen müssen?! Hat er nicht. Der
Weg zum Auto war nur 50 Meter lang. Fünfzig endlose Meter, die ich im
Galopp zurücklegte um mit fiebernden Händen die Tüte
aufzureißen und im letzten Moment noch auf das Einschußloch der
Marmelade zu achten und... reinzubeißen, in die zuckerige Pracht. Der
Zuckerguß ummantelte meine Zähne. Ich spürte ihn, ich lutschte
ihn, oh, du zuckersüße Pracht. Das Mehl zerging in seiner zarten
Konsistenz auf meiner Zunge und der Marmeladengeschmack setzte dem ersten
Bissen die Krone auf. Oh was jubelte meine Seele: Ja, es ist das Höchste
der Welt, einen Berliner zu essen. Der Geschmack eines noch warmen Berliners
ist doch das aller, allerschönste auf Erden... Ich
schloß die Augen, genoß jeden Bissen, war glücklich, ihn ohne
Schaden zu mir genommen haben und dann... klopfte es an meiner Seitenscheibe. Aus
meinem Traum gerissen öffnete ich die Augen und blickte in das Gesicht
einer älteren Frau, die mich aufforderte, die Scheibe herunter zu drehen.
Welcher Teufel ritt diese Frau, mich aus den schönsten Berliner
Träumen zu reißen? Eben noch einen unbeschadeten Berliner vor Augen
und nun in das faltige Gesicht
dieser Frau zu sehen, gab es etwas
schlimmeres auf der Welt? Mein Traum zerplatze und die Wirklichkeit hatte mich
wieder. „Was ist denn?“ fragte ich unwirsch. „Ich
dachte ihnen ist nicht gut, weil sie so zuckten und die Augen geschlossen
hatten. Und denn dieses weiße um den Mund, das sieht ja schrecklich aus.
Ist das Schaum? Haben sie Schaum vor dem Mund?“ Mein
Inneres tobte und ich rastete aus! „Nein“, rief ich, „ich
habe keinen Schaum vor dem Mund und ich mache keine Faxen und Verrenkungen, ich
aß einen Berliner, bin 1 Meter 74 groß und völlig gesund!
Sonst noch Fragen?!“ Beleidigt
zog sie ab. Sollte sie doch. Aber dann meldete sich mein schlechtes Gewissen.
„Hast doch wieder heimlich einen Berliner gegessen. Sagst du das denn nun
deiner Frau?!“ Darauf gab ich mir keine Antwort, weil, man muß nicht
immer alles sofort beantworten. Ich nahm mein Einzahlungsgsformular und ging in
die Sparkasse. Der Mensch am Schalter sah mich sonderbar an. „Meine
Güte,“ dachte ich, „sieht man mir an, daß ich einen
Berliner aß? Habe ich noch Zuckerguß am Mund?“ Meine
Zunge forschte und fand nichts. Ich meinte für mich, daß der
Schaltermensch woanders hinschauen sollte und außerdem ist es ja nun
wirklich nicht so schlimm, wenn man mal einen Berliner ißt. Da muß
ich ja nun nicht vor Scham in den Boden sinken. Ich
reichte ihm das Formular. Er nahm es und blickte mich unverwandt an.
„Will der mich hypnotisieren?“ überlegte ich und starrte
zurück. Er schüttelte den Kopf, aber er wurde dabei tätig. Er
glättete den Beleg und führte ihn auf einem abgewetzten Blech, der
Stempelmaschine zu. Nach Eingabe einiger wichtiger Zahlen und der
Bestätigung des Schaltermenschen durch drücken des Enterschalters,
ratterte die Maschine los. Unterdessen
strich sich der Schaltermensch über den Bauch. Er strich sich die Jacke
glatt, die, wie ich meinte überhaupt nicht faltig war. Er sollte sich um
meinen Beleg kümmern und nicht um seine Jacke. Außerdem, was hatte
der plötzlich für eine verschmierte Jacke? Sollte ein Schaltermensch
nicht akkurat angezogen sein? Er hatte doch mit Publikum zu tun. Saß man
da so verschmiert herum? Bevor ich an der Reihe war, war er doch noch nicht
verschmiert. Sah ja fast wie Marmelade aus. Ekelhaft! Hatte ich nun den Berliner gegessen oder er? Die
Stempelmaschine ratterte und rödelte. Das hörte sich nicht gut an.
Der Schaltermensch griff irritiert nach meinem Beleg und zog daran. Langsam,
kam der Beleg und die Maschine beruhigte sich. Zögernd glitt er über
das Blech und hinterließ eine rote Spur. Fast sah die Spur wie Marmelade
aus. „So ist das richtig,“ dachte ich mir, „der
Schaltermensch saut nicht nur seine Jacke ein, sondern auch noch meinen
Beleg.“ Nun hatte ich also meinen Berliner unbeschadet gegessen, mich
nicht eingeschmiert und nun dieses! Ich meine, daß solche schmierigen
Typen, wie der Mensch an der Kasse, nicht in die Öffentlichkeit
gehören! Er
blickte mich immer noch an. Ein leises Lächeln glitt über seine
Wangen und auf einem Mal sah er gar nicht mehr so unsympathisch aus. Ich freute
mich plötzlich, hatte er doch erkannt, daß meine Jacke neu war und
mir der weiße Farbton der Jacke gut zu Gesicht stand. Hatte einen guten
Geschmack der Mann. Er gefiel mir. So
nahm ich denn auch mein Formular mit einem Lächeln entgegen und nahm es
dem Schaltermenschen gar nicht übel, daß der Beleg klebte, wie
Marmelade klebte. Und ich nahm es dem Menschen auch nicht übel, daß
er sich von mir abwandte und sich die Hand, die Stempelmaschine und die Jacke
reinigte. Ich bekam auch nicht mehr mit, daß er ein Schild aufstellte,
auf dem zu lesen war, daß die Kasse Vorübergehend geschlossen blieb.
Ich bekam auch gar nicht richtig mit, daß ich, mit dem klebrigen Beleg in
der Hand, die Tür öffnete und ich war erst wieder auf dem Boden der
Tatsachen, als ich meinen Wagen öffnete und vorne auf dem Sitz einen großen
Placken Marmelade fand, dort, wo mein Einzahlungsbeleg lag, der so aussah, wie
der klebrige Rest auf meinem Beleg und auf der Jacke des Schaltermenschen. Und
ich sah mit Entsetzen, daß der Schaltermensch sich nicht über meine
neue Jacke gefreut, sondern über einen großen Placken Marmelade, der
an meiner Jacke herunter gelaufen war. Da
stand ich, eingeschmiert, mit schlechtem Gewissen, wegen unerlaubtem Berliner
essen, schlechtem Gewissen, weil sich meinetwegen der Schaltermensch
eingeschmiert hatte und schlechtem Gewissen, weil ich die Frau angemosert
hatte. Lohnt es sich überhaupt einen Berliner zu essen? In
meine Gedanken hinein kam die Berliner Verkäuferin, die nun Feierabend
hatte, an mir vorbei und freute
sich, mir mitteilen zu können, daß ihre Berliner mit zwei Sorten
Marmelade gefüllt sind. Einmal mit Himmbeer- und einmal mit
Erdbeermarmelade. „Sie müssen aufpassen,“ bemerkte sie,
„die Berliner haben jetzt seit kurzem zwei Einschußlöcher
für Marmelade.“ Sehr
witzig!!! |