Was halten Sie vom Glück? Friedgard Seiter Seltsam, wie die Menschen auf
diese Frage reagieren. Es erinnert mich ein wenig an die Sache mit dem Geld:
„Von Geld spricht man nicht, man hat es.“ Vom Glück spricht man
nicht - aus Angst? Aus Aberglauben? Aus Vorsicht? Was ist das überhaupt:
Glück? Es gibt so viele Begriffe, die damit in Verbindung stehen:
Harmonie, Zufriedenheit, Wohlstand, Gesundheit, Freundschaft, Liebe, Heiterkeit
- ich könnte noch vieles aufzählen. Aber die Zurückhaltung
ist spürbar, wenn nach dem Glück gefragt wird. Fragen Sie nach dem
Unglück, dann sprudeln die Quellen. Weisheit des Journalismus: nur eine
schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht. Fragen Sie: „Wie geht es
Ihnen?“ bekommen sie in sehr vielen Fällen die Antwort: „Na
ja, es geht so - -„ Wer wagt
schon, zu sagen: „Danke, mir geht es gut.“ Es könnte ja eine
Herausforderung an das Schicksal sein. Manchmal kommt es mir so vor,
als ob viele Menschen das Glück genau so wenig wahrnehmen, wie die
Vögel im Wald. Menschen, die zwar wissen, dass es Vögel gibt, aber
höchstens mal ein Geräusch, oder gar einen Lärm, damit
verbinden. Wie zauberhaft es ist,
einen Vogel zu beobachten, zu belauschen- wer macht sich schon die
Mühe. Wir trafen auf einem Spaziergang am Neusiedler See eine höchst
gelangweilte Frau: „Mein Mann schaut immer stundenlang nach den
Geiern“, sagte sie. Alle Vögel waren für sie
„Geier“. Glück ist nicht
greifbar, vielleicht schwer zu definieren, sicherlich ist das
Glücksempfinden individuell sehr unterschiedlich. Ich hörte
kürzlich in einer kurzen Betrachtung eines Theologen, dass es offenbar
wenig mit Wohlstand zu tun hat, denn der Prozentsatz der Menschen, die
fähig sind, Glück zu empfinden, hat sich von 1950 bis heute nicht
verändert. Was sagen meine Kinder und
Enkel dazu? - Wir sind uns weitgehend einig. Es gibt so viele kleine
Glücksmomente, man muss sie nur wahrnehmen. Eine aufblühende Blume,
ein helles Lachen, das Zusammensein mit einem geliebten Menschen, das
Genießen von Musik, ein intensives Gespräch mit einem Freund - Manchmal denke ich, unsere
Beziehung zu Glück und Unglück ist ähnlich wie zu Lob und Tadel.
Wie schnell ist ein Tadel ausgesprochen, wenn etwas nicht so läuft, wie es soll,
wenn jemand einen Fehler macht oder ein Missgeschick passiert - und wie schwer
geht ein Lob von der Zunge - für gelungene Arbeit, die als
selbstverständlich angesehen wird, wie schwer ein Dank für kleine
Gesten der Freundschaft, der Hilfsbereitschaft, der Nächstenliebe. Wer viel reist, kann
beobachten, dass in armen Ländern die Menschen oft heiterer wirken.
Wirkliches Leid, tiefes Unglück macht auch sensibler, aufnahmefähiger
für Glücksmomente. Wir Deutschen, sagte einer, sind immer
unzufrieden, aber auf einem sehr hohen Niveau. Wer unter Glück das
Paradies versteht, oder den Jackpot, oder den Weltfrieden - der wird es nie
finden. Manchmal liegt es uns zu
Füßen wie ein Pfennig, den einer verloren hat, aber wir
müssen es sehen und uns vielleicht danach bücken - Ich wünsche Ihnen allen
viel Glück dabei. |