Die Klopfgeister von Rennes. Sie hatten schon eine ganze
Weile zusammengesessen. Draußen standen ihre Fahrzeuge. An einer Tankstelle der
Autobahn A7. Einer beladen mit Umzugsgut, der andere voll bis oben hin mit
abgefahrenen Auto-Reifen. Sie kannten sich nicht, saßen einfach nur an der
Theke. Gerade hatten sie ihre LKWs betankt. Jetzt stand ein Glas ein Bier vor
ihnen. Ein Schluck vorm Weiterfahren. Sie rauchten und sprachen vom Sauwetter,
dem Nebel, ihren langen Fahrzeiten und verrückten Rasern. Irgendwie kamen sie
auch auf den schon fast vergessenen Krieg zu sprechen. War ja auch schon lange
her. Fast 40 Jahre. Plötzlich fragte der Blonde: " .....und dann bist du
von dort ...." , - "Nein, nein, das war so..." fing der mit dem
grauen Bart an "....eigentlich sollten wir, so hatte man uns gesagt, in
einem langen Güterwagen-Zug nach Osten zum Wiederaufbau, transportiert werden.
Nach Pommern oder so. Immer hundert Gefangene, abgezählt und dichtgedrängt in
den offenen Waggons. Als es Nacht war sah sich einer von uns den Himmel an.
Offenbar verstand er was davon und meinte: "Wir fahren ja gar nicht nach
Osten - nee, nee, es geht nach Westen". Schließlich wurde es sogar
Nordwesten. Meinte er. Und nach fast drei Tagen waren wir in Frankreich, in der
Bretagne. In Rennes. - Mensch, als wir da rein fuhren, über die vielen
Zubringergeleise des Bahnhofs, standen da die Franzosen reihenweise und grölten,
drohten mit den Fäusten. Die hatten wohl mitbekommen, dass da Boches in den Waggons
waren. Was meinst Du, was da plötzlich los war! Die warfen mit Steinen und
dicken Schrauben, so wie sie in den Eisenbahnschwellen verwendet werden.
Wollten die langsam rollenden Waggongs stürmen. Wir mussten uns ducken. Und die
Amis? Ja, wirst es kaum glauben, aber die haben erst in die Luft, dann aber
dazwischen geschossen! Die haben uns regelrecht beschützt - wirklich wahr! War
«n tolles Erlebnis, werd« ich nicht vergessen. Waren erste Eindrücke von den
Franzmännern. Ich hab«s nicht verstanden damals, war wohl noch zu jung
dazu." "Noch«n Bier",
orderte der Blonde. Und dann: "Weiter, Mensch Mann, erzähl«
weiter...". - "Na, gut, wir hatten vor allem nichts, was den
Amerikanern gefährlich werden konnte. Jedenfalls nichts, wovon sie meinten,
dass die damned Germans, fucked Krauts, ihnen doch noch etwas hätten antun können. Hatten
wohl alle noch Schiß vorm Werwolf. So«ne Fantasiegestalt wohl, von der wir
selbst aus dee Schule nur wußten, dass schon die Skythen und der olle Grieche
Herodot meinten hieß, es sei ein Mann , der zeitweise Wolfsgestalt annehmen
kann. War wohl das, was damals als Volkssturm bezeichnet wurde, als letztes
Aufgebot gewissermaßen. Waren lauter Oldis drin versammelt. Na, und die Amis
meinten, dieser Werwolf existiere wirklich, und dass er wie der Teufel in die
Deutschen gefahren sei. Und das saß auch wohl noch tief in ihren Hirnen. Also
für uns - keine Messer, nichts Spitzes. Werkzeug schon gar nicht, auch sonst
nichts, was irgendwie nach Hinterlist oder Gefahr aussah." Der Blonde bekam sein Bier,
nahm einen tiefen Zug und drängelte: " Weiter, Mensch, erzähl« weiter. Was
war dann?" - "Nun, wann es begann, wusste eigentlich keiner mehr.
Weder die Landser, noch die Amis. Aber als einmal eines der Lagerteile aus
hygienischen Gründen umgesiedelt wurde, passten die Wachen auf, dass nichts
mitgenommen wurde. Was eigentlich? Aber sie entdeckten aus dürren ästen
geschwärzte Stöcke. Gebastelt aus Langeweile. Teilweise hübsch anzusehen. Ein
kleines Feuerchen aus Pappe und kleinen Holzabfällen hatte genügt, den Stöcken
ein schwarzes Aussehen zu geben. Mit scharfen Steinen wurden Muster eingeschnitten,
eingeritzt. So entstanden dann helle Verzierungen. Fast weiß. Den Amerikanern gefielen
das. Sie wurden confiscated. Als souvenir from Germany - in memory, gewissermaßen. Und da sie keine
Gefahrenquelle in der Produktion dieser Andenken sahen, hatten sie auch keinen
Grund, Verbote zu erlassen - im Gegenteil!" Der Graubart schüttelte in
Erinnerung daran den Kopf. "Wie wir das Feuer gemacht hatten, so einfach
ohne Streichhölzer, ohne Feuerzeuge - danach hatten die Amis nicht geforscht.
Na, und um diese Zeit begann wohl auch das Klopfen. Plötzlich entstanden
Spazierstöcke mit einem Knauf aus Zinn. Toll! Wohlgeformt und fast, wie
gegossen. Wie unsere Spezialisten das gemacht hatten? Die amerikanischen
Bewacher waren begeistert als sie das sahen. Klar, dass nun häufiger resettlements
angeordnet wurden. Und
woher kam das Zinn? Woher das Feuer? Aber es wurde noch interessanter. Es
entstanden sogar Messer!" Der Bärtige tat etwas gegen seinen trockenen
Mund, schlürfte gierig ein paar Schlucke und fuhr fort: "über viele Tage
hatten ein paar ganz Schlaue, fast wie Erfinder, geduldig Einzelstücke aus den
Stahlfedern gebrochen, die in den Gestellen befestigt waren, auf denen die Strohsäcke
zum Schlafen lagen. Solange wurde hin und her gebogen, bis man ein handlanges
Stück hatte. Und daraus wurden Messer geklopft" - " Das war ja wie
bei den Urmensche," meinte der Blonde. "Klar," sagte der
Graubart, "mit Steinen auf Steinen. Und sie wurden auch geschliffen. Auf
Steinen. Mit Steinen. Bis die Dinger rasiermesserscharf waren. Dann fehlte nur
noch ein kleiner Handgriff. Aber dafür war Zelt 27 zuständig. Da arbeiteten die
"Holzwürmer". Diese Einteilung in unterschiedliche Bearbeitungs-Teams
kam allen zugute. Es wurde wie in echt bezahlt und getauscht." - "
Mensch, wie im Mittelalter! Und das Zinn?" - " Nun - die Amis hatten
zu der Zeit Ration-C-Büchsen, die zugelötet waren. Auch innen waren sie damals noch
verzinnt. Auch viele andere Büchsen, die auf den Küchenabfall-Bergen lagen,
wurden gesammelt. Und dann wurde das wenige Zinn über dem Feuer in winzigen
Kügelchen abgeschabt und gesammelt. Wurde größer und größer. Tröpfchen kam zu
Tröpfchen und wurde zu Tropfen." Der Blonde schüttelte den Kopf: "
Ist das wirklich wahr?" - "Ja, was meinst du, so was gibt«s noch
nicht mal im Krimi. Sollte doch wohl mal«n Film von gedreht werden ... Jetzt
brauch« ich aber auch noch«n Bier!" Jetzt war wieder ein Schluck
fällig. "Aber die Amis waren geduldig. Sie wussten ja, dass ein zu schneller
Wechsel zu wenig Erfolg brachte. Und schließlich wurden ihre Lieferanten ja
auch gerissener. Sie versteckten ihre Produkte unter den Uniformjacken, direkt
auf der Haut. Wollten ja auch, für den Fall einer Entlassung, selbst was mit
nach Hause bringen. Vielleicht sogar handeln... ? Zu Hause auch Zigaretten
eintauschen?" Der Blonde bohrte: "Und das Feuer?" - "Na, da
hatten sich wohl die Physiker und Archäologen, Ethnologen, Handwerker und
Ingenieure, auch Studenten unter uns, zusammengetan. Nachempfunden, was vormals
schon dem Neandertaler, oder den Leuten von Cromagnon eingefallen war. Da
wurden dürre Hölzchen auf einem Stein mit etwas Zunder, zwischen den
Handflächen schnell hin und her gedreht. Irgendwann entstand so viel Wärme,
dass sie in Glut umschlug. Hätte ich vorher auch nicht gewußt. Obwohl - in der
Schule hab« ich mal sowas gehabt. Ist ja auch eigentlich ganz einfach. «N bißchen
mühselig zwar, aber Zeit war ja genug da. Und viele Kartons zum Verbrennen
auch. Alle waren begeistert vom eigenen Tun. Vom
überhaupt-etwas-tun-können." - "Klar, meinte der Blonde, "waren
ja alle arbeitslos," beide lachten.
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