Monika Kunze E-Mail: MONIKA-KUNZE ( @ ) t-online.de
Endlich allein mit Luise... Werner Peters schnitt, was
sonst nicht seine Art war, Grimassen beim Rasieren. Sein saukomisches
Spiegelbild ließ die roten Mundwinkel inmitten von weißem Schaum unwillkürlich
nach oben schnippen, aber auch dieses unerwartete Ereignis, man denke nur - ein
Lächeln vor dem Frühstück! – schien wenig dazu angetan, sein schlechtes
Gewissen zu besänftigen. Nein, es bohrte und
bohrte. Was wohl seine Mutter zu
seiner tollkühnen Fahrt gesagt hätte? Eine Auktion! Da sei Gott
vor! So etwas schickt sich doch nicht für unsereins! Wieder glaubte er, ihre
verächtlich näselnde Stimme zu hören, mit der sie schließlich schon ganz andere
Männer als ihn zum Zittern gebracht hatte. Vielleicht war es ja – neben
anderen Unerträglichkeiten - sogar dieses Näseln, was den Vater schon vor
Jahrzehnten in die Flucht geschlagen hatte. In die Republikflucht noch dazu,
was die Sache auch nicht gerade einfacher machte. Doch er wollte seiner
Mutter auf keinen Fall unrecht tun, so etwas gehörte sich nicht! Schließlich
hatte sie auch ihre guten Seiten! Er sah nun ihr biederes Gesicht vor sich:
rot- und rundbackig, rechtschaffen, mit den Jahren von Tausenden Fältchen
zerfurcht. Und dann dieser zarte Duft von Babycreme, der sie zeitlebens
umschwebt hatte. Die Vorstellung ließ ihn schwärmerisch die Nase krausen, was
zur Folge hatte, dass er sich schnitt. Nahe am Ohr wuchs eine kleine,
dunkelrote Perle. Doch: Gewissen hin –
Gewissen her, die Perle am Ohr erinnerte ihn wieder an den eigentlichen Grund
seines Daseins. Er musste sie einfach
haben: seine kleine, zierliche Tänzerin! Immerhin war heute ein denkwürdiger
Tag! Heute vor vier Jahrzehnten hatte er sich in Luise verliebt, ihr wenig
später eine Kette aus roten Perlen geschenkt. Ach, Luise! Wenn er sie
schon nicht leibhaftig haben konnte, dann wenigstens... Seine Mutter? Sie konnte
eigentlich zu seiner absonderlichen Begierde am allerwenigsten sagen... seit
mehr als zwei Jahren brachte er ihr regelmäßig Blumen, in einer Steckvase
zierten sie einen Hügel auf dem Städtischen Friedhof.
Eine gewisse Erleichterung
ließ sein Spiegelgesicht kurz aufleuchten. Für Sekunden nur, und die Scham
darüber dauerte auch nicht viel länger. Weitaus wichtiger schien
es ihm jetzt, den Blutstropfen am Ohr mit einem Stück Toilettenpapier
aufzusaugen, sein schütteres Haar anzufeuchten und endlich den Scheitel zu
ziehen. Ganz exakt. Wie immer. Wie immer tummelten sich
nach dem Kämmen unzählige Wassertropfen auf dem Spiegel, aber die kümmerten ihn
heute nicht im geringsten. Schließlich stand er nicht
vor seinem eigenen Spiegel. Ja, tatsächlich! Werner
Peters hatte sich sein Abenteuer etwas kosten lassen: Er war schon gestern
abend mit dem Zug von C. nach L. gereist, hatte sich hier, in diesem noblen
Hotel gleich in der Nähe des Hauptbahnhofs, ein Zimmer genommen, damit er am
Morgen ausgeschlafen und ohne jede Hast zu dieser Auktion käme. Dass er letztendlich doch
völlig außer Atem dort eintraf, konnte er diesmal dem Taxifahrer anlasten, denn
der hatte ãfürchterlich getrödeltÒ, wie Mutter bissig genäselt hätte. Aber Werner enthielt sich
heute jeglicher Kritik. Sein Herz
hämmerte vor Freude gegen die Rippen, als er endlich des Gebäudes ansichtig
wurde, das ihm so vertraut vorkam. Seit langem, wie ihm schien. Dabei kannte er
es nur vom Titelblatt des Kataloges, aber den hatte er immer und immer wieder
zur Hand genommen, ihn gedreht und gewendet, bis zu einer bewussten Seite
aufgeschlagen... Entgegen jeder sonstigen
Gewohnheit steckte er dem Fahrer sogar hastig einen unangemessen großen Schein
zu, verzichtete auf das Wechselgeld (Mutter hätte getobt!) und war so schnell
hinter der frisch gestrichenen Eingangstür verschwunden, dass er nicht einmal
mehr das beschämt gestammelte Dankeschön des Fahrers hören konnte. Werner Peters öffnete
leise, aber doch nicht völlig ohne Geräusch, die schwere Eichentür am Ende des
langen Flurs. Die Versteigerung hatte
natürlich bereits begonnen. Irgendwie hatte er das beschämende Gefühl, er sei
nackt – und alle würden ihn anstarren. Unsicher ließ er seinen
Blick über die versammelten Menschen gleiten, doch diese schienen – zu
seiner Erleichterung - kaum Notiz von ihm zu nehmen. Sehen alle gepflegt aus,
sind tadellos und teuer gekleidet, er hatte es geahnt. ängstlich prüfend schaute er an sich selbst hinunter. Die
Bügelfalte seiner braunen Tweedhose fiel korrekt, die Schuhe glänzten sanft in
einem etwas dunkleren Ton, die Jacke schlug - zum Glück - keine Falten. Nunmehr
etwas entspannter, klemmte er
seinen Aktenkoffer fester unter den Arm und steuerte entschlossen geradewegs
auf einen freien Platz in der dritten Reihe zu – mit hoch erhobenem
Haupt, aber ohne seine Umgebung eines weiteren Blickes zu würdigen. Er sah
nichts mehr, ausgenommen vielleicht die Sonnenstrahlen, die schräg durch die
hohen Fenster einfielen, Heerscharen von Stäubchen tanzen und Werner Peters
blinzeln ließen. Kaum hatte er sich auf seinen Stuhl fallen lassen, da nahm
er auch schon seinen Aktenkoffer mit Schwung auf den Schoß und ließ die
Schlösser hörbar aufschnappen. Das aufdringliche Geräusch trug ihm nun doch
einige tadelnde Blicke und ein leises, ziemlich unwilliges Raunen ein. Aber was konnte ihm das heute ausmachen? Durch nichts, aber
auch durch gar nichts, würde er sich an diesem, schon so lange herbei
gesehnten, Tage erschüttern lassen. Schließlich musste alles bereit sein für
die Aufnahme seiner kleinen Tänzerin, seiner Liebsten, seiner Luise. ã12.500 zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten - für die
Dame mit dem blauen Hut! Die Stimme des Auktionators erinnerte ihn an irgend einen
berühmten Schauspieler. Noch ehe ihm dessen Name einfiel, sah er, wie der Mann
im dunklen Anzug auch schon nach dem nächsten Gegenstand griff. Wieder ging ein Raunen durch die Menge, diesmal jedoch
voller Ehrfurcht. Betroffen stellte Werner Peters fest, dass er wohl doch
nicht der einzige war, der die kleine Tänzerin so sehr bewunderte. Angewidert
beobachtete er, wie die viel zu klobigen Finger des Versteigerers die zierliche
Porzellangestalt packten und achtlos beiseite stellten. Werner wünschte die
dicken behaarten Hände zum Teufel und sich die Tänzerin in seinen
erwartungsfroh geöffneten Koffer. Wie zerbrechlich sie
wirkte in ihrem filigranen Spitzenröckchen, diesem Tutu! Wie kunstvoll ihre hoch
aufgetürmten Locken wirkten! Und ihr Lächeln erst! Er
glaubte es erkennen zu können, obwohl er in der dritten Reihe saß. Die Tänzerin lächelte
geheimnisvoll wie eh und je. Es war ohne jeden Zweifel Luises Lächeln! Jahrzehntelang lang war es
ihm schließlich bis in seine einsamen Träume gefolgt, in diesen Nächten hatte
er seine stärksten sexuellen Erlebnisse. Nein, niemand außer ihm hatte auch nur
den geringsten Anspruch auf dieses Lächeln. Er musste die kleine Porzellanfigur
haben! Koste es, was es wolle! Luise und Werner hatten sich 1962 in einem Hörsaal kennen
gelernt, keine fünfhundert Meter von hier. Unzählige Männeraugen hatten sie
angestarrt, denn sie war von unglaublicher Schönheit gewesen. Außerdem war es
seinerzeit durchaus noch nicht selbstverständlich, dass junge Frauen
studierten. Zumindest so hübsche nicht. Auch Werner hatte sie ein wenig
irritiert angeschaut, und als sich ihre Blicke trafen, war etwas
Ungeheuerliches passiert! Etwas, was er selbst nie für möglich gehalten hätte!
Es war i h m passiert, ausgerechnet ihm, dem Verstandesmenschen. Allein ihr Anblick ließ alles bisher Dagewesene zu einem
Nichts zusammenschrumpfen. Er glaubte, nicht mehr von ihr lassen zu können,
sterben zu müssen, wenn sie ihn abends verließ und er sich vergeblich sehnte:
nach ihrer Haut, nach dem Duft ihres Haars, nach ihrem unbeschreiblichen
Lächeln. Auch ihr musste es wohl ähnlich ergangen sein, wenn sie auch das Wort
Liebe nie in den Mund genommen hatte. Aber so ein Lächeln brauchte schließlich auch keine Worte. Lange wartete Werner Peters vergeblich auf eine passende
Gelegenheit, ihr seine Liebe in den glühendsten Farben auszumalen. Eines Tages
würde Luise seine Frau werden – daran gab es keinen Zweifel. Zuallererst
teilte er es seiner Mutter mit – letztendlich würde auch sie sich damit abfinden müssen
– dann schrieb er einen Brief an seine Herzensdame. Doch seine Liebste
war nicht gekommen zu jener Verabredung, die er für seinen Heiratsantrag
vorgesehen hatte. Sie war überhaupt nie mehr gekommen. War verschwunden. Für
immer! ãGott sei DankÒ, hatte seine Mutter gesagt, als er ihr
Wochen später von Luises rätselhaftem Verschwinden erzählte. Diese Person sei
schließlich ãnach dem Westen rüber gemacht - und so einerÒ brauche er nicht
nachzutrauern. Sie weinte schließlich auch nicht um ihren abtrünnigen Ehemann. Werner hingegen hatte getrauert. Auch geweint, wenn niemand
ihm zusah. Trotzdem. Viele Jahre. Erst um seinen Vater, dann um Luise. Um sie
vor allem, um ihre verlorenen Berührungen, um den verlorenen Duft ihres Haars,
um ihr verlorenes Lächeln, das er
mehr als alles andere auf der Welt vermisste. Aber er hatte auch um sich selbst getrauert, vor allem um
seinen Mangel an Mut. Er war im Osten geblieben, hatte, zugegeben, auch hier
seinen Weg gemacht, sein Diplom geschafft, war sogar Oberstudienrat geworden.
Kurz: Er hatte sich eingerichtet. Seine Mutter war stolz auf ihn gewesen, sie strich ihrem
Buben noch übers Haar, als der schon seinen Fünfzigsten feierte. Es gab keine
anderen Frauen mehr im Leben von Werner Peters. Er hätte sowieso keine gefunden, die auf so bezaubernde
Weise lächelte wie seine Luise. Wozu also sollte er suchen? Und dann lag eines Tages dieser Katalog des Auktionshauses
in seinem Briefkasten. Bis heute ist ihm nicht klar, wie er ausgerechnet in
seinen Kasten, der eher einem flachen Fach glich, hinein geraten war. Ein wenig
unwirsch hatte er in dem vielfarbigen, glänzenden Ding herum geblättert, wollte
den Katalog schon mit einem Achselzucken nach draußen, in die blaue Tonne,
bringen, als ihn plötzlich jenes unvergleichliche Lächeln traf und ihn bis ins
Mark erschütterte. Verführerisch leuchtete es ihm entgegen, vom Gesicht einer
zierlichen Porzellanfigur, einer geheimnisvollen Tänzerin. Entgegen jeder Vernunft war für Peters sofort klar, dass er
die Porzellanfigur haben musste. Fast überflüssig zu erwähnen, dass er sie
insgeheim Luise nannte. Selbstvergessen strich er mit der Linken über sein
schütteres Haar. Was? Fünfhundert Euro schon? ãTausend!Ò polterte der unwirsch aus seinen Träumen
gerissene Oberstudienrat a.D. mit nie gekannter Schärfe. Aus dem Hintergrund rief eine Frau, mehr belustigt als
energisch: ãTausendeinhundert!Ò Es schien ihr auch noch Spaß zu machen, dieses unangenehme
Tauziehen! Der Oberstudienrat rümpfte die Nase und rechnete
blitzschnell. Gut, dachte er, ein finanzielles Problem darf die kleine
Tänzerin nun auch nicht werden. Aber zur Not... könnte er die große Wohnung
aufgeben. Nach dem Tod seiner Mutter hätte er die eigentlich sowieso nicht mehr
gebraucht. Er könnte auch ein paar ihrer sorgsam gehüteten Antiquitäten
verkaufen... Ob Luise wohl auch manchmal noch an ihn dachte? Nach all den
Jahren? Ein sehnsüchtiges Gefühl machte sich in seinem Bauch breit. Die Stimme des Auktionators erinnerte ihn daran, dass das
Tauziehen auch ohne ihn weitergegangen war. Entsetzt sah er, wie jener den Hammer hob und rief:
ãTausendfünfhundert zum...Ò ãTausendfünfhundertfünfzigÒ unterbrach Werner heftig die
vermeintliche Synchronstimme des amerikanischen Schauspielers, dessen Name ihm
noch immer nicht einfallen wollte. Buchstäblich im letzten Augenblick
verhinderte sein Gebot das endgültige Herabsausen des Hammers. ãEins-sechs!Ò War das denn die Möglichkeit? Wollte diese Person denn nie
aufgeben? Werner wagte es nicht, sich umzuschauen, bot zwei, zweieinhalb, drei,
dreieinhalb. Doch erst bei ãViertausend!Ò, in heller Verzweiflung ausgestoßen,
denn das waren ja immerhin fast achttausend Mark, gab die unliebsame
Konkurrentin klein bei. Ebenso vorsichtig wie triumphierend wickelte Werner Peters
seine Luise in einen weichen Schal – Kaschmir natürlich, das war sie ihm
wert! - bettete sie sorgsam in den Aktenkoffer, schloss diesen so leise wie
möglich, strebte dann aber, ohne noch weiter darauf zu achten, ob er störende
Geräusche verursachte oder nicht, hastig dem Ausgang zu und stieß dort mit
einer älteren Dame zusammen, die einen blauen Hut trug. Werner murmelte flüchtig und mit gesenktem Blick eine
Entschuldigung, er wollte so schnell wie möglich zum Bahnhof, nach Hause, um
endlich allein mit Luise zu sein. ãWerner?Ò Diese, ihre Frage klang ungläubig, hoffnungsvoll, erfreut
... und auch eine Spur ängstlich. Nun musste er doch notgedrungen einen Blick auf die Dame
werfen, eilig und unmutig, weil sie ihn aufzuhalten drohte. ãKennen wir uns?Ò Seine Frage klang abweisend, tadelnd, mit einem höhnischen
Unterton, der jede Hoffnung im Keim erstickte. Die Dame zuckte wie unter einem angedrohten Schlag zusammen,
richtete sich gleich wieder auf, schien einen Augenblick lang angestrengt
nachzudenken, schüttelte schließlich unsicher den Kopf. ãVerzeihung,
ich habe Sie wohl mit jemandem verwechselt ... einem jungen Mann ... wir hatten
vor langer Zeit gemeinsam in L. studiert ... uns dann später aus den Augen
verloren...Ò Sie
bereute sofort ihre Redseligkeit und senkte schnell ihren Blick. Was ging
diesen hölzernen Fremden mit dem lächerlich geraden Scheitel im schütteren Haar
ihre unerfüllte Jugendliebe an? Was würde sie ihm wohl noch alles erzählen?
Dass sie dem Künstler damals Modell gestanden hatte? Er wollte sie ursprünglich nur malen, dann jedoch hatte er nach den halbfertigen Skizzen
diese zarte Figur geformt, die er bis zu seinem Ende nicht aus den Händen geben
konnte. So gehörte sie schließlich zu seinem Nachlass. Freiwillig war er aus
dem Leben gegangen. Sie hatte es einfach nicht geschafft, seine
besitzergreifende Liebe zu ertragen, er hatte ihr die Luft zum Atmen genommen.
Sie hatte nicht bei ihm bleiben können. Zu gern
hätte sie aber wenigstens die kleine Figur mit nach M. genommen, sie hätte
Wärme und gute Erinnerungen in ihr behagliches, aber sonst ziemlich
einsames Heim gebracht. Doch da
war wohl nichts mehr zu machen: Dieser Holzkopf würde die kleine Tänzerin mit
sich davon tragen. Ob es ihr nun gefiel oder nicht. Ihr
Blick blieb an seinen braunen, sanft glänzenden Schuhen haften, und sie wünschte den Kerl samt
Tweedhose und Schuhen insgeheim zum Teufel. Werner hatte bei ihren wenigen Worten kurz aufgehorcht, in
Windeseile seine vierzig Jahre mit (und doch auch wieder ohne!) Luise Revue
passieren lassen, während er seinen Koffer noch fester an sich presste und
beklommen schwieg. Nein, das konnte doch wohl nicht sein, dachte er, dann
wieder: obwohl - diese Augen, dieser prüfende und zugleich schalkhafte Blick,
seit Sekunden allerdings am Boden haftend, als gebe es dort irgend etwas zu
sehen, was ihm verborgen blieb... Sein Herz begann, wie heute schon einmal, ungestüm gegen die
Rippen zu hämmern. Die Dame sah ihn nun doch wieder fragend an, das Schweigen
begann schon unangenehm zu knistern. Doch plötzlich hörte er sich, scheinbar völlig kühl,
entgegnen: ãJa, bestimmt, eine Verwechselung... Guten Tag!Ò Er war beim frostigen Klang seiner eigenen Stimme heftig
zusammengezuckt. Er ließ sie einfach stehen, beschleunigte seinen Schritt mit jedem Meter, den er
sich von ihr entfernte. Ohne sich auch nur ein einziges Mal umzuschauen, war er auch
schon auf der Straße, saß kurz darauf im Zug und die freudige Aussicht, nach
drei Stunden Fahrt endlich zu Hause sein, wollte ihm fast den Brustkorb
sprengen. Liebevoll würde er seine stummen Fische füttern und die kleine
Porzellanfigur in das edle Regal stellen, gleich neben dem Aquarium. Er würde
sich seinen Ohrensessel heranziehen, sich zurücklehnen und sie andächtig
anschauen. Endlich. Er würde sie ansehen und in Erinnerungen schwelgen. Endlich.
Von niemandem beobachtet, von niemandem gestört, endlich
allein mit Luise. Auch später, in einer viel kleineren Wohnung, dessen war er
sich sicher, würde sie an einem eigens für sie hergerichteten Platz stehen und
auf ihre unvergleichliche Weise lächeln, seine geliebte Luise, ganz allein für
ihn. Oberstudienrat a.D. Werner Peters begann so selbstvergessen
und mit zärtlich verschleiertem Blick seinen Aktenkoffer zu streicheln, dass
ihm einige seiner Mitreisenden höchst verwundert ins leicht gerötete Gesicht
starrten. Doch derjenige, dem ihre erstaunte Aufmerksamkeit für einen
Moment lang galt, bemerkte es
nicht einmal... Kurzvita: Monika Kunze, geb. in Bruch, nach Abitur und Studium der Journalistik in Leipzig, bis 1996 Redakteurin bei verschiedenen Wochen- und Tageszeitungen, danach freie Autorin, schreibt u.a. Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane, zuletzt: ãDas Steh-auf.-FrauchenÒ (noch unter Melcher 1.Aufl.1997 / 2. Aufl.1999), ãWenn die Liebe stirbtÒ (2001), ãAbschied von der KindheitÒ (2001 in Anthologie ãSteinleseÒ des Förderkreises für Literatur in Sachsen e.V.), ãZu Hause ist anderswoÒ (Roman / 2003). |