Pik Bube
Die Toten von Klenak Bis Zemun waren es etwa zweihundert Bahnkilometer. In
Sremska Mitrovica stiegen weitere 'Elsässer' zu, mit Bewachung natürlich. Gleich am nächsten Vormittag wurden wir einer französischen
Delegation vorgeführt. Die erste Frage richtete sich an unsere
Sprachkenntnisse. Dass es mit meinem Französisch nicht sehr weit her war,
das habe ich von meiner alten Schule schriftlich. Da brauchte ich also gar
nicht erst lange zu schummeln. Ich schied mit etlichen anderen schon in der ersten
Runde aus. Diese Selektion vollzog sich kurz und bündig. Am folgenden
Morgen startete eine DC2 von Zemun nach Marseille. Elsaff und Elsass hatten
sich eben doch nur gereimt. Ein Fehler war es trotzdem nicht, dass ich mich auf diese Weise von Privlaka
abgesetzt hatte. Hier in Zemun praktizierte ein deutscher Lagerarzt, der
sich sogleich um meine maroden Füße bekümmerte. Seine
Behandlung begann mit Kamillenbädern. Hinterher wurde fleißig gepudert.
Seine Bemühungen waren insgesamt erfolgreich. Wir bekamen aber auch Schuhe, hohe Schnürschuhe. Auf dicken Holzsohlen
war dünnes minderwertiges Oberleder befestigt. Für meine
Füße war damit die Leidenszeit vorbei. Während der vergangenen
sieben Monate hatten meine Fersen rundum eine dicke, rissige Hornschicht angesetzt,
die man stückchenweise herausbrechen konnte. Trotz Schuhen
mussten meine Fußsohlen noch eine Weile verbunden bleiben. Nach dieser Restaurierung wurde den falschen Elsässern das erste
Arbeitskommando zugewiesen. Ob dieser Einsatz von Anfang an als
Strafexpedition gedacht war, weiß ich nicht zu sagen. Jedenfalls
hieß es, dass wir nicht weit von hier zum Ernteeinsatz kämen. Es sei
vor Einbruch des Winters noch sehr viel Mais von den Feldern einzubringen.
Das war einleuchtend. Mit der Eisenbahn ging es wieder zurück bis Ruma, wo wir erst
einmal bis in den Abend hinein, wie vergessen, auf dem Bahnsteig herumstanden.
Dort wurde während dieser Wartezeit ein Güterzug mit Getreide beladen.
Die Frucht war zum weitaus größten Teil in Säcke abgefüllt.
Es wurde aber auch loses Getreide in die Waggons geschaufelt. Die Bauern hatten auf dem Bahnsteig mehrere Feuerstellen eingerichtet.
Nachdem die Sonne untergegangen war, wurde es schnell empfindlich
kühl. Ich stand gerade dabei, wie an einem dieser Feuer ein
Bratkürbis aus der heißen Asche herausgeholt wurde. Ich hatte
so etwas noch nie beobachtet. Beim Aufschneiden zog ein köstliches
Aroma an meiner Nase vorbei, dass mir das Wasser im Munde zusammenlief. Es war schon dunkel, als ein LKW vorfuhr, der uns zum Einsatzort bringen
sollte. Als wir nach einer knappen Stunde unser Quartier bezogen, wusste noch
niemand, wohin man uns gebracht hatte. In dem großen leerstehenden
Raum war nichts für ein Quartier gerichtet. Wir ließen uns also auf
dem Fußboden nieder. Es gab kein Licht und an diesem Abend auch
keine Verpflegung mehr. Am nächsten Morgen teilte man Brot und irgendein heißes
Getränk aus. Bald danach wurden wir zum Arbeitseinsatz geführt. Auf
dem Wege dorthin verriet uns das Ortsschild, wo wir gelandet waren. Klenak
hieß dieses Dorf, unmittelbar an der Save gelegen. Es war eigenartig. Wohin man uns führte war von Maisfeldern keine
Spur. An einem kleinen Wäldchen machten wir halt. Und dann sahen wir auch
schon ein großes, noch ziemlich neues Holzkreuz. Hier erwartete uns ein
hochaufgewachsener Zivilist, der an
einem langen Schulterriemen eine mächtig große
Pistole trug. Er sprach deutsch, aber weiß Gott nicht in der freundlichen
Art. Wenn man's bedachte, hatte er auch keinen Grund dazu. Etwa vor einem Jahr hatte hier ein deutscher Wehrmachts- oder Polizeiverband
ein blutiges Massaker vollzogen. Hier an dieser Stelle lagen über vierhundert
junge Menschen, Studenten von der Hochschule der benachbarten Stadt Šabac
(sprich: Schabatz). Wie der Zivilist kurz rekapitulierte, war im November
des Jahres 1944 hier in diesem Raum eine deutsche Division(?) von Partisanen
eingeschlossen. Nachdem die Partisanen ein deutsches Ultimatum zur
Öffnung dieses Kessels unbeachtet ließen, sei eine deutsche Polizeieinheit
angerückt, habe alle Schüler, Jungen und Mädchen während
des Unterrichts aus der Schule herausgetrieben und hier an dieser Stelle
in einer vorbereiteten Grube zusammengeschossen. Unsere Aufgabe sei es
nun, die Toten für eine würdige Bestattung in Šabac wieder
auszugraben. Ich gebe das also hier so wieder, wie uns das vorgetragen
wurde. - Aber damit genug der Vorrede. Wir bekamen Spaten und Schaufel in die Hand gedrückt und begannen
sogleich mit einer ganz entsetzlichen Arbeit. Auf einer Fläche von etwa zehn mal dreißig Metern begannen
wir mit den Ausgrabungsarbeiten. Der Aushub wurde auf den Rändern der
Grube abgelegt und von dort noch einmal umgeschaufelt. Am Fußende
der Ausgrabung musste für den späteren Bergungstransport eine Treppe
ausgehoben werden. Wir gruben und schaufelten, was unsere Kräfte hergaben. Nicht
allein, weil wir ständig angetrieben wurden. Es lag auch in unserem
Sinne, dies hier so schnell wie eben möglich hinter uns zu bringen. In etwa einem halben Meter Tiefe bekamen wir erste Berührung mit
den Opfern. Jetzt hieß es, die Resterde mit größter Sorgfalt
aufzunehmen, um die spätere Identifizierung durch die Angehörigen
nicht zu erschweren. Die Toten obenauf hatten keine erkennbaren Gesichter mehr. Bei ihnen war
der Verfall am weitesten fortgeschritten. Man würde sie wohl nur noch
an ihrer Bekleidung und am Inhalt der Taschen erkennen können. An den
darunterliegenden Körpern hatte sich die Verwesung völlig anders
vollzogen. Ihre Leiber waren unter einer dünnwirkenden Haut glatt und
aufgedunsen; außerdem dunkel verfärbt. In ihren Gesichtern
standen noch deutlich die Schrecken der letzten Augenblicke. Aus ihren
Kleidern wuchs langhaariger Schimmel, der die Körper aufeinanderkleben
ließ. Mit äußerster Vorsicht nahmen wir die glitschigen,
deformierten Körper auf und legten sie dorthin, wo sie später den
Angehörigen übergeben werden sollten. Trotz aller Vorsicht geschah es etliche Male, dass beim Aufheben der
Kopf eines Toten abriss und die Träger diesen auch kopflos aus der Grube
trugen. Die nächsten hatten dann zwei Köpfe auf ihrer Trage liegen.
Dass dieser hochgewachsene Zivilist sich darüber erregte,
verstand sich aus der Notwendigkeit, dass diese Leichen hinterher eindeutig
identifiziert werden sollten. Wie sich diese Erregung allerdings artikulierte,
das hat sich mir trotz dieser grauenhaften Situation als unbeabsichtigte
Groteske eingeprägt. Bei dem Toten ohne Kopf schrie er: "Wo ist Kopfen von Kamerad!?" Wurde der fehlende Kopf auf der nächsten Trage nachgeliefert,
brüllte er: "Warum Kamerad zwei Kopfen? - Ich immer sagen: Ein Kamerad, ein
Kopfen!" Als man uns zur Mittagszeit eine Graupensuppe herausbrachte, waren wir
allesamt bis über die Ellenbogen mit schleimiger Verwesung
beschmiert. Da hier draußen keine Waschgelegenheit bestand, haben wir
Hände und Arme mit Erde und Grasbüschel abgerieben. So wie es eine Grenze gibt, hinter der aller Schmerz in einer tiefen Ohnmacht
endet, so überschreiten auch Grauen und Ekel irgendwo einen Punkt, wo
sich nur noch empfindungslose Taubheit ausbreitet. Nur so ist es begreiflich,
dass wir uns ohne Überwindung über das Essen hermachen konnten. Dieser Tag wollte nicht zu Ende gehen. Der Zivilist ließ die
Arbeit erst einstellen, als es dämmerte. Die Toten hatten
an der Luft ihr Aussehen völlig verändert. Mit dem
Verwesungsgestank war auch eine Menge Feuchtigkeit aus den Leibern
entwichen. Die Gesichter waren zusammengefallen und zu Mumien
erstarrt. Am folgenden Tage, so sagte man uns, würden die Angehörigen
hier eintreffen, um ihre Totenklage zu vollziehen. - Was kam da wohl
noch auf uns zu? Zum Ort in das Quartier zurückgekehrt, suchten wir erst einmal
Wasser; Wasser, um unsere stinkenden und klebrigen Hände und Arme zu
reinigen. Diesen ganzen schrecklichen Tag hätte man sich abwaschen
mögen. Dieser schreckliche Tag war für mich aber noch nicht ausgestanden.
Da passierte noch etwas: Als auch ich am Dorfbrunnen Wasser zapfen wollte. Es war nicht der hier
übliche Brunnen, wo man das Wasser mit einer Seilwinde hochdrehte.
Nein, das hier war eine Saugpumpe, wie sie auch bei uns üblich war und als
Gartendekoration heute gerne wieder aufgestellt wird. Eine Pumpe, wie
wir sie alle kennen. Nach einigen 'Pumpenschlägen' floss
stoßweise das begehrte Wasser. Was war mir nun passiert? - Was musste ich armer Hund mir jetzt noch
völlig unnötigerweise einheimsen? Der Gelenkbolzen am Pumpenschwengel
war irgendwann oder gerade an jenem Abend aus den Bohrungen
herausgefallen. Dem das passiert war, fiel nichts besseres ein, statt des
Bolzens ein Stück Holz in die Gelenkbohrungen hineinzustecken. Das
funktionierte wohl auch, bis ich dann kam. Vielleicht habe ich in dieser ganzen
Hektik zuviel Kraft und Schwung vergeudet. Jedenfalls brach nach einigen
Pumpenschlägen das Holzstück durch, und meine Hand schlug mit dem
Schwengel hart gegen den Pumpenkörper. Ein brennender Schmerz, und
meine rechte Hand war sogleich voller Blut. Was nun jetzt? - Am Knöchel des rechten Mittelfingers hatte sich
ein Hautlappen losgerissen. An eine Behandlung, auch an einen Verband, war
hier nicht zu denken. Wie sollte das am nächsten Tag für mich weitergehen? In einem entsetzlichen Verwesungsgestank verbrachte ich eine ruhelose
Nacht. Es war niemand da, dem ich meine Not antragen konnte. Es hätte sich
auch niemand darum geschert. Wir waren uns in diesem Kommando alle völlig
fremd und sind uns auch fremd geblieben. Da war kein Erich Tautenhahn mehr, dem
immer etwas einfiel, woran man sich trösten konnte. In kritischen
Situationen stand auch nicht mehr, wie immer ganz zufällig, ein Fritz
Barufke neben oder hinter mir. Wäre ich mal nur in Privlaka geblieben. -
Sollten Lügen wirklich nur so kurze Beine haben? Früh am Morgen wurden wieder Brot und heiße Brühe
verteilt. Kurze Zeit danach waren wir auf dem Weg zu diesem grausigen Ort. Dort
angekommen, meldete ich mich gleich bei dem Zivilisten, um ihm meine
Verletzung zu zeigen. Aber was erwartete ich von ihm? Er riet mir, bei der
Arbeit darauf zu achten, dass die Wunde nicht zu sehr verschmutzt
würde. Wir hatten kaum mit der Arbeit begonnen, als der Zivilist mich wieder zu
sich rief. Ein fremder Wachmann stand bei ihm. Dieser suchte sich noch drei
Männer aus der Gruppe und verließ mit uns diese
Grabstätte. Nach einem kurzen Weg, auf der anderen Seite des Wäldchens,
wartete eine Frau auf uns, zu deren Füßen wieder Arbeitsgerät
abgelegt war. Zwei Spaten und zwei Schaufeln. Jetzt ging dieses Spiel
wieder von vorne los. Die Fläche auf der wir nun gruben, war allerdings
längst nicht mehr so groß. - Ich hatte mir eine Schaufel genommen
und arbeitete dem Spaten nach. Nach einer Tiefe von etwa drei bis vier
Spatenstichen wurden wir bereits fündig. Wie uns die Frau erzählte,
waren hier keine Schüler, sondern erwachsene Männer aus dieser Gegend
umgebracht worden. Wir sahen auf den ersten Blick, dass die Vollstrecker
seinerzeit 'professioneller' vorgegangen waren. Diese Toten waren, wie uns das
die Frau auch bestätigte, mit ungelöschtem Kalk bestreut worden.
Dieser Kalk hatte alles in eine trockene, ätzend stinkende graublaue
Masse verwandelt. Die Zeugin dieser schrecklichen Vorgänge beherrschte unsere Sprache
erstaunlich gut. Sie bat uns flehentlich, an der von ihr bezeichneten Ecke die
Erde ganz besonders behutsam abzutragen, denn hier wusste sie ihren Mann
ganz obenauf. Sie hatte mit ansehen müssen, wie man ihn hier niedergeschossen
hatte. "Herr Soldat, bitte, wenn ich ihn sehe, grabe ich selbst weiter
mit den Händen." 'Herr Soldat' hatte sie zu mir gesagt. Dabei wusste sie, dass ich zu
jener Zeit mit dem gleichen 'Hoheitszeichen' markiert war. Die Frau war noch
nicht alt. Sie war gut gekleidet und hatte ein recht ansehnliches und
gepflegtes Äußeres. Mit ihren bloßen Händen wollte
sie ihren Mann aus dieser Erde aufnehmen, damit weder Spaten noch Schaufel
ihn beschädigten. - Mein Gott, wie stand man da! Inzwischen hatte sich eine Gruppe junger Burschen an dieser Grabung
eingefunden. Sie traktierten uns mit Sprüchen, die wir ihnen
nicht übel nehmen konnten. Dann passierte folgendes: Der Kumpel, der vor mir ausgrub, fragte mich,
ob wir das Gerät einmal tauschen könnten. Er möchte eine
Weile schaufeln. Warum nicht? - Als ich dann seinen Spaten in den Boden trat,
hatte ich den abgebrochenen Stiel in der Hand. Das Spatenblatt blieb im
Boden stecken. Da hatte mich dieser Saukerl doch ganz gehörig
hereingelegt. Sofort fielen die Burschen über mich her. Sie beschimpften
mich als 'Sabuschant', als
Drückeberger. Ich hatte großes Glück, dass der Wachmann sofort einschritt
und diese Gesellen von mir abdrängte. Dieser Posten war übrigens
ein Zigeuner. Wegen ihrer dunklen Augen und ihrer schwarzen Haare wurden sie
unter ihren Leuten 'Crni' (sprich: Zerni) gerufen. Um sich nicht weiter mit den
jungen Leuten herumbalgen zu müssen, brachte er mich an den
ersten Grabungsort zurück und meldete den Vorgang dem
Zivilisten. So kam es, dass ich den Fortgang an der zweiten Grabung nicht
weiterverfolgen konnte. Drei von den jungen Kerlen waren mir durch das Wäldchen gefolgt.
Sie haben ziemlich alle Untaten aufgezählt, die man sich so ausdenken
konnte. Sie wollten von mir wissen, welcher dieser Schandtaten ich mich in
ihrem Lande schuldig gemacht hatte. Ohne den Wachmann wäre ich wohl
in diesem Wäldchen geblieben. Dem Zivilisten schien ich wie gerufen zu kommen. Hier war inzwischen
einiges geschehen. Eine Lastwagenkolonne hatte die Angehörigen der hier
Ermordeten herangebracht. Jetzt begann die bereits am Vortage
angekündigte Identifikation. Und ich armer Hund musste nun auf
Anforderung die Taschen der Toten durchsuchen. Bei den Leichen, die wir am
Vortage ausgebracht hatten, ging das noch. Sie waren über Nacht ziemlich
abgetrocknet. Bei den Toten, die jetzt noch herausgetragen wurden, war das
Durchsuchen der glitschig klebrigen Bekleidung eine Qual. Oft war die
suchende Hand gar nicht mehr in der Bekleidung, sondern steckte tief im
Körper des Toten. Als ich in einem Falle ein grobes Leinenstück
aus einer Hosentasche zog, war da irgend etwas eingeknotet. Ich
versuchte vergeblich den schleimigen Knoten zu öffnen. Als dann einer der
jungen Männer mich aufforderte, das eine Ende zwischen die Zähne
zu nehmen, hatte ich das Leinen in Stücke gerissen. Lediglich ein
Stück Steinsalz kam zum Vorschein. Das alles geschah unmittelbar vor den Angehörigen. Die drei
Burschen wurde ich nicht mehr los. Sie gaben sich alle Mühe, die
Anwesenden gegen mich aufzuwiegeln. Es grenzte überhaupt an ein
Wunder, dass diese Leute sich mir gegenüber so zurückhaltend
verhielten. Allerdings verstand ich auch manches nicht, was sie zueinander
sagten. Ich wurde jedenfalls von niemandem angegriffen. Hatte man den Sohn oder die Tochter, den Bruder oder die Schwester
wiedererkannt, so ließ man sich bei dem Toten nieder und begann mit
der Totenklage. Während die Mütter in schrille Klageschreie
ausbrachen, die in auf- und absteigenden Sequenzen kein Ende zu
nehmen schienen, packten der Vater und die Geschwister die mitgebrachten Sachen
aus. Man teilte mit dem Toten noch einmal Speise und Trank, legte Brot, Fleisch
und Wurst auf die Brust und goss Raki über seinen Mund. Einige steckten
sogar eine angerauchte Zigarette zwischen die Zähne ihres
Angehörigen. Im Laufe des Mittags hatten sich hunderte von Menschen
hier eingefunden, und die Schreie der klagenden Frauen mussten bis an die Save
zu hören sein. Mehrere Kameraleute drängten sich durch die
langen Reihen und drehten eifrig für ihre Wochenschau. Als wir gegen Abend ins Dorf zurückgebracht wurden, wussten wir,
dass hier draußen unsere Arbeit beendet war. Fertig waren wir aber
deshalb noch nicht. In einer großen Aktion sollten alle Ermordeten dieser Gegend auf
dem Friedhof von Šabac, in Anwesenheit Belgrader
Regierungsmitglieder, würdig bestattet werden. Für die
Bekanntgabe weiterer Fundstellen waren Geldprämien ausgesetzt. So
jedenfalls wurde uns gesagt. Unsere Beobachtungen schienen dies auch zu
bestätigen. In kleinen Gruppen wurden wir durch das Gelände
geführt. An der Straße, die von Šabac nach Ruma führte,
wurden wir mehrfach fündig. Man berichtete uns, dass etwa um die gleiche
Zeit eine Gruppe älterer Männer diese Straße entlanggetrieben
wurde. Alle, die sich dieser Strapaze nicht gewachsen zeigten, wurden an der
Stelle, an der sie schlapp machten, am Straßenrand erschossen. Hier,
so berichtete eine Frau, dicht bei der großen Akazie, sei ihr alter
Doktor, der bis dahin ihre Männer betreut habe, zusammengeschossen
worden. Bei seinen sterblichen Überresten fanden wir die Utensilien, die
er in seinem Arztkoffer mitgeführt hatte. Meine letzte Grabung fand am jenseitigen Ufer der Save statt, am Stadtrand
von Šabac. Bewacht wurden wir von zwei Offizieren der Luftwaffe, die
hier vielleicht kaserniert waren. Zigeuner hatten uns an diese Grabung herangeführt.
Was wir aber diesmal fanden, waren unzweifelhaft die Überreste eines
verendeten Esels. So wurde nichts aus der Prämie. Während wir uns, durch reiches Wurzelwerk behindert, mühsam in
den Boden gruben, hielt einer der beiden Offiziere uns auf seinem Rücken
eine geöffnete Zigarettenschachtel hin. Es war die blaue NIL. Ich packte
meine Zigarette unauffällig in mein Kochgeschirr. Es waren keine zehn
Minuten vergangen, da tat der andere Offizier das gleiche. Die Angehörigen der Ermordeten haben uns nicht gesteinigt, nicht
erschlagen. Die beiden Offiziere hier zeigten uns auf ihre Weise ihr Mitgefühl, heimlich, so dass wir uns nicht einmal bedanken konnten. *** |